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Und wenn Gott schweigt!

Das nachstehende Referat hielt Ernst Günter Wenzler, Gemeinschaftsinspektor des Süddeutschen Gemeinschaftsverbandes, bei der HofackerJahrestagung im Februar 2003. Diese seelsorgerlichen Ausführungen sind so wertvoll, dass sie eine weitere Verbreitung verdienen

 

Etwas humorvoll meinte der Filmemacher Woody Allen: »Gott schweigt - wenn wir jetzt bloß noch die Menschen dazu bewegen könnten, die Klappe zu halten.« Für viele Zeitgenossen ist es ausgesprochen logisch und normal, wenn Gott schweigt. Der polnische Lyriker Stanislew Lerzy Lee schrieb über die Bibel: »Im Anfang war das Wort - dann kam das Schweigen.« Ähnlich äußerte sich Jean-Paul Sartre: »Gott ist tot, er sprach zu uns, und nun schweigt er. Wir berühren nur noch seinen Leichnam.«

Wer das Reden Gottes schon erlebt hat, für den ist die Erfahrung seines Schweigens schmerzlich. Sein Schweigen auszuhalten, gehört zu den schwierigsten Erfahrungen des Glaubens

Wo früher Gottes Wort das Herz erreicht hat, wo man von Gebetserhörungen berichten konnte, wo man Gottes Nähe erlebt hat, ist es so, als ob Gott sich zurückgezogen hat. Er redet einfach nicht mehr

Die guten Worte des Vaters im Himmel erreichen mein Herz nicht mehr. Ich kann die tröstliche Stimme des guten Hirten nicht mehr verstehen. Mir fehlt das Wichtigste, der Trost des Heilands

 

Wenn Gott schweigt, wird es dunkel und kalt

Ein Blick in die Psalmen zeigt: Die Beter der Bibel wissen um die Angst, Unsicherheit und Einsamkeit. Sie kennen solche Situationen nur zu gut. Deshalb rufen sie: -»Wende dich nicht schweigend von mir ab. Wenn du verstummst, werde ich den Men schen gleich, die in die Grube versinken« ( PS 28, l )

- »Herr, du hast es gesehen, schweige nicht; Herr, sei nicht ferne von mir!« ( Psalm 35, 22 )

- »Höre mein Gebet, Herr, und vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Trä nen; denn ich bin ein Gast bei dir, ein Fremdling wie alle mei ne Väter« ( Psalm 39, 13 )

- »Gott, schweige doch nicht! Gott, bleib nicht so still und ru hig!« ( Psalm 83, 2 )

- »Gott, mein Ruhm, schweige nicht!« ( Psalm 109, 1 )

Wenn Gott schweigt, sieht die Antwort des Glaubenden sehr unterschiedlich aus. Einige klagen, denken sie an die Gebete der Juden an den Wassern Babylons; andere loben Gott in einem mutigen Bekenntnis gegen den Augenschein ( Psalm 115, 2 f.); andere bitten und klingeln Sturm bei Gott ( Psalm 83, 2 )

Eine andere Antwort kann Buße und neue Hinkehr zu Gott sein

 

Wenn Gott w Ihnen spricht, dann danken Sie dafür - am Besten gleich. Wir können nicht dankbar genug dafür sein

Dass Gott schweigt oder dass wir diesen Eindruck haben, dafür gibt es vielfältige Gründe. Nun bin ich nicht Gottes Geheimsekretär und weiß deshalb nicht, was in Ihrer Situation der Grund dafür ist. Ich möchte Ihnen einige Gedankenimpulse anbieten

 

Wenn Gott schweigt, dann will er, dass wir reden

Als geübter Predigthörer, geübte Bibelleserin haben Sie schon so viel gehört. Nun ist es wie bei einem guten Gespräch. Man macht Pausen, dass der andere auch zu Wort kommen kann

Vielleicht möchte Gott, dass Sie ihm endlich das sagen, was Sie bewegt. Sprechen Sie doch mit ihm über das, was er Ihnen schon gesagt hat. Gott will, dass Sie sprechen - mit ihm und von ihm, dass die Kontemplation wieder zur Evangelisation führt

 

Wenn Gott schweigt, dann will er, dass wir gehorchen

Gottes Wort gibt mir Licht, dass ich die nächsten Schritte tun kann ( Psalm 119, 15 ). Nur wenn ich im Gehorsam vorwärts gehe, werde ich den übernächsten Schritt erkennen. Gottes Reden ermutigt zum Vorwärtsgehen und kann die eigene Fortbewegung nicht ersetzen

Nur wenn ich den Schritt tue, geht es weiter. Vielleicht hat Gott schon oft in Ihr Leben hineingeredet

Nun möchte er, dass Sie das Gehörte befolgen; denn wo wir seinem Reden nicht Folge leisten, stumpfen wir ab. Überdruss an der Bibel kommt oft daher, wenn man die Bibeltexte zur Kenntnis genommen hat, sie im Leben aber keine Gestalt gewinnen. Dabei fängt das eigentlich Spannende doch erst da an, wenn wir unsere Bibel zuklappen!

Tun Sie das, was Sie wissen

Und bitten Sie dann wieder um sein Wort für den nächsten Schritt

Der Kirchenvater Augustin formulierte es so: »Der ist der beste deiner Diener, dem weniger daran liegt, w hören, was er will, als nur W wollen, was er von dir hört.«

 

Wenn wir meinen, dass Gott schweigt, heißt das, dass wir hinhören müssen

 Gott begegnete seinem Propheten Elia nicht in der Gewalt der Elemente. Er war weder im Sturm, im Erdbeben, noch im Feuer. Gott verbarg sich in einem »stillen, sanften Sausen« ( l. Korinther 19, 12 )

 Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat das so ausgedrückt: Gott ist hörbar an der »untersten Grenze des Vernehmbaren«. Die Stimme Gottes ist leicht zu überhören und zu übertönen

Wenn wir meinen, Gott schweigt, kann es sein, dass einfach zuviel Lärm ist. Vielleicht müssen Sie einige Dinge ausschalten, um Gottes Stimme wieder zu hören. Und wenn Sie auch dann nichts hören? Lesen Sie trotzdem die Bibel. Die Begegnung mit Gott wird Sie auch dann prägen, wenn Sie gar nichts davon merken

 

Wenn Gott schweigt, redet er laut

(durch das Schweigen) Wenn Gott schweigt, dann ist Gottesfinsternis. Dann ist der Himmel verschlossen, auch wenn die Bibel offen ist. Dann ist es finster wie die Nacht über unserem Leben

Nach dem Römerbrief bedeutet das: Gott lässt den Menschen einfach machen. Er überlässt den Menschen sich selbst und seiner eigenen Willkür (Rom 1,24

26.28). Martin Luther hat diese Brisanz des Schweigens Gottes so ausgedrückt: »Kein größer Übel ist, denn dass ein Mensch tun darf, was er will, und Gott schweigt.« Dieses Schweigen Gottes ist genaugenommen eine harte Rede Gottes. Sein Schweigen ist ein Alarmzeichen. So etwas wie ein blauer Brief oder die dritte Mahnung: Jetzt wird es ernst! Sein Schweigen will uns aufhorchen lassen und auffordern: Verändere dein Leben

Bitten Sie in diesem Fall doch ganz ehrlich: Gott, zeige mir, wie du mich siehst; mach mir bewusst, wenn etwas wischen dir und mir steht. Und dann suchen Sie über das, was dabei herauskommt, mit ihm das Gespräch. Nur er selbst kann die Wand des Schweigens wieder durchbrechen und Ihnen zusprechen: Dir sind deine Sünden vergeben!

 

Wenn Gott schweigt, können wir Ruhe bewahren

Als die ersten Jesusnachfolger in einer Nacht über den See Genezareth ruderten, gerieten sie in einen lebensbedrohenden Sturm. Sie wussten nicht mehr aus noch ein

 Jesus war zwar dabei - aber Jesus schläft. Verzweifelt und verunsichert rütteln ihn seine Freunde wach und fragen vorwurfsvoll: »Ist es dir egal, dass wir untergehen?« Jesus antwortet erstaunt: »Warum habt ihr so viel Angst? Habt ihr denn kein Vertrauen?« (Mt 8,24f.)

Es ist schon ein faszinierender Gedanke: Solange Gott die Ruhe bewahrt, dürfen wir es auch. Wenn Gott schweigt, dann darf auch ich schweigen

Seit wir diese Geschichte der Bibel kennen, können wir viele Situationen anders einschätzen

Wenn Gott schweigt, müssen wir nicht denken, dass er sich nicht für uns interessiert oder abwesend ist

Wir können es als eine Einladung verstehen, ebenfalls still zu werden. Solange er die Ruhe bewahrt, dürfen wir es auch

Könnte es sein, dass Gott Ihnen sagen will: Keine Angst! Seien Sie ganz. ruhig?

 

Wenn Gott schweigt, brauchen wir den Rückhalt von Geschwistern

Als Martin Luthers Tochter Magdalene mit 13 Jahren stirbt, setzt Luther sich hin und schreibt seinem Freund Jonas einen Brief, in dem er ihm all seine Gedanken und Schmerzen über den Verlust seiner geliebten Tochter anver traut. Und dann bittet er seinen Freund, dass er für ihn und seine Frau stellvertretend glauben und beten soll

Haben Sie den Mut, in Zeiten der Unsicherheit und Angst die Hilfe von Glaubensgeschwistern in Anspruch w nehmen. Gott kann durch sie zu Ihnen reden

 

 

 Wenn Gott schweigt, liebt er uns trotzdem

Man darf Gott die Not seines Herzens klagen, auch die Not seines Schweigens. Jesus hat es vorgemacht. Am Kreuz schreit Jesus seine Verzweiflung mit Worten aus Psalm 22 in die Gottesfinsternis: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« ( Mt 27,46)

Das heißt doch: Wenn Gott schweigt - und uns die Worte ausgehen - dann dürfen wir mit Worten der Bibel beten

Und wenn - wie bei Jesus trotzdem keine Stimme vom Himmel kommt? Und wenn wir - wie Jesus - keine Antwort auf unsere »Warums« bekommen? Dann können wir trotzdem - wie Jesus - vertrauensvoll beten: »Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist« ( Lukas 23, 46 )

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand man an der Wand eines Kellers, in dem sich einige Juden vor den Nazis versteckt hatten, folgende Aufschrift: »Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint

Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht spüre

Ich glaube an Gott, auch wenn er schweigt.« Das ist es. Ich verlasse mich auf ihn, auch wenn ich nichts fühle und der Augenschein dagegenspricht. Denn wer auf Gott vertraut, wird nicht zuschanden ( Psalm 22, 6 )