Markus 5, 35 – 43 Predigt, Bibelarbeit, Andacht, Evangelium

 

Jesus wird mit dem Tod fertig

 

Ich hasse Wartezimmer! Dieses Sitzen und abwarten, bis man endlich aufgerufen wird und dran kommt. In der Regel vergeht die Zeit in Wartezimmern immer langsamer als im wirklichen Leben. Irgendwie scheinen die Uhren dort still zu stehen.

Anfang März musste ich wegen meines Rückens zum Orthopäden. Ich brauchte nur ein Rezept. Aber der neuen Gesundheitsreform sei Dank musste mich der Arzt vorher noch unbedingt sehen. Also saß ich im Wartezimmer, eine halbe Stunde, eine Stunde, eineinhalb Stunden und nach zwei Stunden wurde es mir einfach zu dumm und ich fragte nochmals nach, ob es nicht auch ohne Arztbesuch geht. Die nette Sprechstundenhilfe hatte Erbarmen mit mir. Wahrscheinlich sah ich genug gequält aus. Zwei Stunden warten, letztlich für Nichts und Wiedernichts. Furchtbar!

Wie lange er warten musste, wird uns nicht berichtet. Aber statt eines Rezeptes bekam er die Nachricht vom Tod seiner Tochter. Das schlimmste, was einem hoffenden und wartenden Vater passieren kann, wurde für ihn zur brutalen Gewissheit: „Mein Kind ist tot!“

Markus 5, 35 – 43 (Hoffnung für alle): Noch während er mit der Frau redete, kamen einige Leute aus dem Haus des Jairus gelaufen und riefen: «Deine Tochter ist tot. Es hat keinen Zweck mehr, den Meister zu holen.» Jesus hörte das und sagte zu Jairus: «Verzweifle nicht! Verlaß dich ganz und gar auf mich!»

Er wies die Menschen zurück, die ihm folgen wollten. Nur Petrus, Jakobus und Johannes durften ihn begleiten. Als sie im Hause des Jairus ankamen, sah Jesus die vielen Menschen und hörte ihr Weinen und Jammern. «Weshalb macht ihr solchen Lärm?» fragte er sie. «Warum weint ihr? Das Kind ist nicht tot, es schläft nur.» Das fanden die Leute so unsinnig, daß sie spöttisch lachten. Er schickte sie alle weg; nur die Eltern und seine drei Jünger gingen mit zum Bett des Mädchens.

Dann faßte er die Tochter des Jairus bei der Hand und sagte: «Steh auf, mein Kind!» Da stand das zwölfjährige Mädchen auf und lief im Zimmer umher. Ihre Eltern waren fassungslos. Sie wußten nicht, was sie sagen sollten. Jesus verbot ihnen aber nachdrücklich, anderen davon zu erzählen. «Und nun gebt dem Kind etwas zu essen!» sagte er.

Erinnern Sie sich: Da war die stürmische Seefahrt, anschließend die Befreiung dieses von einer Legion Dämonen besessenen Mannes, und dann wieder ins Boot und zurück ans andere Ufer, ans Westufer des Sees Genezareth.

Da warten sie schon auf diesen Mann, der Unmögliches möglich machen kann und dessen Name im Zusammenhang mit einem Film auch zur Zeit wieder in aller Munde ist: Jesus von Nazareth!

Und da steht der stadtbekannte Vorsteher der jüdischen Gemeinde, wirft sich vor Jesus nieder und bittet ihn um seine Hilfe und Heilung für seine sterbenskranke Tochter.

Jesus macht sich mit Jairus auf den Weg. Die Masse folgt den Beiden und dann kommt es auf einmal in dieser Geschichte zu einem ganz anderen Ereignis.

Und der um seine todkranke Tochter besorgte Vater wird warten und sich gedulden müssen. Dabei zählt doch jede Minute, wenn das Leben in Gefahr ist, zumal es sich noch um einen Teenager handelt, ein zwölfjähriges Mädchen, ein Mensch, der das Leben noch vor sich hat.

Doch mitten im Gedränge der Masse muss zuerst eine Frau geheilt werden. Jairus muss warten, abwarten, zusehen; schwitzend voller Angst um das Leben seines Kindes bangen. Wie lange er wohl warten musste: Eine halbe Stunde, eine Stunde, eineinhalb Stunden, zwei Stunden? Und dann kommt die Nachricht: „Es ist zu spät! Dein Kind ist tot!“

Markus 5, Verse 35 bis 36 (Einheitsübersetzung): Während Jesus noch redete, kamen Leute, die zum Haus des Synagogenvorstehers gehörten, und sagten (zu Jaïrus): Deine Tochter ist gestorben. Warum bemühst du den Meister noch länger? Jesus, der diese Worte gehört hatte, sagte zu dem Synagogenvorsteher: Sei ohne Furcht; glaube nur!

Können wir uns vorstellen, was dieser Vater fühlen musste? Wie es in ihm aussah? Wie er aussah?

Unser größter und schlimmster Feind ist der Tod! Er gehört in die Reihe der gottfeindlichen Mächte und Gewalten, die das von Gott gewollte und geschaffene Leben erniedrigen, angreifen und zerstören. Und er wird am Ende der Zeiten von Christus entgültig entmachtet, 1. Korinther 15, Vers 26 (Einheitsübersetzung): Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod.

Nicht der Tod, sondern das Leben hat das letzte Wort! Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden, so antwortet Jesus auf die Frage einiger frommer Leute, die nicht an eine leibliche Auferstehung glauben können (siehe Matthäus 22, Verse 23 bis 33).

Aber hier steht ein Vater mit dieser erschütternden Nachricht: „Dein Kind ist tot!“ Wie kann ihn das jetzt trösten, auch wenn das wahr ist?

Am Mittwochmorgen musste ich in einer Sitzung einen meiner Kollegen entschuldigen, dessen Vater im Alter von 96 Jahren gerade gestorben war. Der verantwortliche Gesprächsleiter der Sitzung sagte daraufhin ganz nüchtern und sachlich sicherlich richtig: „Auch Väter sterben“ - aber was ist das für ein Trost und eine Hilfe?

Der Tod ist furchtbar - eine unüberwindbare Grenze, die uns trennt von Menschen, die uns wichtig und wertvoll sind, die uns gezeugt, erzogen, geprägt oder begleitet haben.

Die schlimmste Beerdigung für mich war bisher die meines Vaters. Ich werde nie den Anruf meiner Mutter vergessen, als sie mir sagte: „Dein Vater ist tot!“ Wie viel hätte ich noch mit ihm reden wollen, klarstellen und erklären. Aber er war tot. Es war kein Gespräch mehr möglich. Alle Worte waren gesagt. Das schlimmste für mich war und ist die Ungewissheit und die Frage, ob er sein Leben noch in die Hände Jesu gelegt hat? Ich konnte ihn nicht mehr fragen. Ich konnte ihm nichts mehr dazu sagen. Es war zu spät!

So steht auch Jairus mit leeren Händen da und der furchtbaren Gewissheit, dass sein Kind tot ist!

Und er? Der Stürmen gebietet, der Dämonen in die Hölle schickt, Kranke heilt und Kinosäle füllt? Was macht er, dieser Mann, der in kein Schema passt, der einen Vater warten lässt, weil eine Frau seine Hilfe und Heilung braucht und darüber eine Heranwachsende sterben lässt? Was macht Jesus? Weshalb lässt er einen hoffenden und erschütternden Vater unnötig lange warten? Warten – bis die Nachricht kommt: „Es ist zu spät?“

Ich hoffe wir erahnen die Situation in der sich Jairus befand? Wir fühlen, was er empfinden musste? Die Frau ist geheilt und mein Kind ist tot! Weshalb diese Frau und nicht mein Kind? Ist das gerecht? Warum?

Sicher, wir haben sofort das Ende der Geschichte im Kopf und wissen um die Totenauferweckung und das Happyend. Aber um wirklich zu begreifen und zu verstehen, müssen wir mit Jairus durch das Tal der Tränen. Ostern ist ohne Karfreitag nicht zu haben! Es gibt kein leeres Grab ohne blutiges Kreuz. Es gibt keine Erlösung ohne das grausame Opfer Christi auf Golgatha.

Der Auferweckung der Tochter geht eine zutiefst und grausame Erschütterung eines Vaters voraus.

Und Jesus hörte das und sagte zu Jairus: « Sei ohne Furcht; glaube nur!»

Poh!

Haben Sie so etwas schon einmal einem wirklich Trauernden gesagt? „Keine Angst, glaube nur?“

Ich weiß nicht, ob wir erahnen, welche Dimensionen sich hier auftun und was Jesus diesem Mann zumutet? Was Jesus auch uns zumutet!

In dieser ganzen Diskussion um den Film „Die Passion Christi“ meine ich herauszuhören, dass viele unserer Zeitgenossen Glauben und ihre jeweilige Jesusvorstellung mit einer utopisch falsch verstandenen heilen Welt verwechseln. Es gibt einen Aufschrei, dass Gott doch nicht so grausam sein kann. Man will das Leiden abkürzen und gleich zu Ostern gelangen.

Doch das was Christus stellvertretend für uns durchstand, erleben wir als Menschen und auch als Christen ansatzweise doch auch in dieser Welt und Zeit: dass Leiden eben zum Leben gehört, dass Warten nicht immer zum Erfolg führt und dass der Tod seine grausamen Wunden schlägt.

So und nicht anders hört ein trauernder Vater die Worte Jesu: « Sei ohne Furcht; glaube nur!»

Was soll er glauben? Wem soll er glauben? Der brutalen grausamen Nachricht, dass sein Kind gestorben ist oder dem Satz des Meisters, der alles menschlich verstehbare, erklärbare sprengt und das Undenkbare für denkbar und das Unmögliche für möglich erklärt?

Jeder Christ, der einen Angehörigen verloren hat und trauert steht vor derselben Frage: Was soll er glauben? Wem soll er glauben? Der brutalen grausamen Nachricht, dass jemand gestorben ist oder dem Satz des Meisters, den er zu Martha sagte, Johannes 11, Verse 25 bis 26 (Einheitsübersetzung): Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.

Und dann machen sie sich auf den Weg. Jesus, Jairus und drei aus dem engsten Jüngerkreis, die auch auf dem Berg der Verklärung dabei sein werden.

Markus 5, Verse 37 bis 40 (Einheitsübersetzung): Und er ließ keinen mitkommen außer Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus. Sie gingen zum Haus des Synagogenvorstehers. Als Jesus den Lärm bemerkte und hörte, wie die Leute laut weinten und jammerten, trat er ein und sagte zu ihnen: Warum schreit und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur. Da lachten sie ihn aus. Er aber schickte alle hinaus und nahm außer seinen Begleitern nur die Eltern mit in den Raum, in dem das Kind lag.

Ich bewundere den Vater. Jairus geht mit Jesus den Weg des Glaubens. Er nimmt ihn mit. Oder nimmt hier Jesus Jairus mit? Es scheint fast so, als wenn die Initiative nicht mehr vom Vorsteher der Synagoge, sondern allein von Jesus ausgeht.

Das ist uns doch auch vertraut, oder? Da werden wir herausgefordert zum glaubensvollen Vertrauen, zu mutigen Schritten auf dem Weg der Jesusnachfolge und der Weg erscheint uns so weit, die Herausforderung unannehmbar und erst im Rückblick erkennen wir, dass uns Jesus auf den Weg des Glaubens mitgenommen hatte. Das in Wahrheit die Initiative gar nicht von uns ausging, sondern er uns an die Hand genommen hatte und uns so aus der Passivität in die aktive Mitarbeit führte.

Immer und immer wieder ereignet sich die Geschichte im Leben der Christen, die in „den Spuren vom Sand“ so treffend beschrieben wird. Wie oft fragen wir uns, wo ist er denn? Wie kann er das denn zulassen? Warum gerade ich? - wenn wieder einmal das Leiden so brutal an unsere Tür klopft. Erst im Rückblick verstehen und erkennen wir, dass gerade dort, wo wir nichts mehr von der Nähe und der Gegenwart Jesu fühlten, wo aller Glaube aufgebraucht erschien, er uns auf seinen Schultern durch das Tal der Tränen trug.

Zwei Ereignisse waren für mich als junger Christ prägend und einschneidend. Ich war gerade mal 18 Jahre alt und noch nicht einmal ein Jahr Christ, da kam die Nachricht vom Tod meines Freundes, der nicht ganz unbeteiligt daran war, dass ich überhaupt Christ wurde. Mit ihm führte ich die ersten Gespräche über den Glauben. Er drückte mir die erste Bibel in die Hand. Damals befand er sich noch in einer theologischen Ausbildung und leitete gleichzeitig eine offene christliche Jugendarbeit in Wuppertal. Verschiedene Katastrophen in seinem Leben führten dazu, dass er kurz vor Ostern Schlaftabletten nahm. Später erfuhr ich, dass er seinen Eltern kurz davor sagte: „Es muss schön sein, jung bei Christus zu sein!“ Die Nachricht vom Selbstmord meines Freundes kam einer Erschütterung gleich. Wir fragten uns danach, ob wir das nicht hätten sehen müssen, verhindern können, ob wir das nicht hätten aufhalten können. Trotz Krankenwagen und Magenauspumpen wurde er nicht mehr zurück ins Leben gerufen. Er starb letztlich nicht an einer Überdosis Tabletten, sondern an seinem viel zu schwachen Herzen, von dem weder er noch seine Eltern etwas ahnten.

Damit mit ihm nicht auch noch diese anfänglich blühende offene Jugendarbeit starb, musste ein neuer Leiter gefunden werden. Ich war viel zu jung, völlig unerfahren und noch nicht einmal ein Jahr lang Christ. Dennoch konnte ich doch nicht nein sagen.

Wer nimmt wen mit? Sind wir es? Oder ist es nicht letztlich immer wieder unser Herr?

So geht Jairus den Weg des Glaubens. Aber in Wahrheit wird er von Jesus mitgenommen. Die Initiative geht von Jesus aus. Er lässt weder das Volk noch alle seine zwölf Jünger mitgehen, sondern nur die Drei, die immer wieder eine besondere Rolle spielen, wenn es besonders wichtig wird. Ob auf dem Berg der Verklärung oder eben hier auf dem Weg in ein Trauerhaus.

Die Leute weinen und klagen und nachdem sie Jesus reden hören, fangen sie an zu lachen und zu spotten. Tot ist eben tot. Da kann man nichts machen. Da kann auch der Meister nichts mehr machen. Auch wenn er Stürmen gebietet, Dämonen austreibt und Kranke heilen mag, aber Tote auferwecken?

Da gibt es doch eine Grenze? Selbst für einen, der mit Gott auf Du und Du steht!

Und so lachen sie, lachen ihn aus und zeigen so demonstrativ, wieweit ihr Glaube reicht und was sie Jesus wirklich zutrauen.

Markus 5, Verse 41 bis 43 (Einheitsübersetzung): Er faßte das Kind an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Sofort stand das Mädchen auf und ging umher. Es war zwölf Jahre alt. Die Leute gerieten außer sich vor Entsetzen. Doch er schärfte ihnen ein, niemand dürfe etwas davon erfahren; dann sagte er, man solle dem Mädchen etwas zu essen geben.

Das Undenkbare passiert und das Unmögliche wird wahr. Das tote Kind wird ins Leben zurückgerufen. Es steht auf und läuft umher. Die Eltern sind erschrocken und entsetzt. Indem Jesus für das Mädchen etwas zu essen erbittet, holt er die Eltern aus dem Schockzustand wieder ins normale Leben zurück.

Ganz einfach: Jesus wird mit dem Tod fertig. Er ruft die gestorbene zwölfjährige Tochter des Jairus wieder ins Leben zurück.

Sollte dem, der mit Stürmen, Dämonen, unheilbarer Krankheit und dem Tod fertig wird, etwas unmöglich sein?

Sollte der, der sich um seine ängstlichen Jünger, einen gebundenen Besessenen, eine unheilbare Kranke und eine gestorbene Teenagerin kümmert, sich nicht auch um uns kümmern?

Vielleicht erleben wir so wenig von der Macht Jesu, weil wir es noch nicht gelernt haben, ohnmächtig vor Jesus zu erscheinen, weil wir es gewohnt sind, alles zu managen und nicht wirklich das Unmögliche zu glauben, dem zu glauben, der Unmögliches möglich machen kann.

Nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes kommt jede Bekehrung einer Totenauferweckung gleich. Wenn wir einen Menschen zum Glauben an Christus einladen, tun wir nichts anderes als einen geistlich toten Menschen ins Leben zu rufen und ihm im Namen Jesu zu sagen: „Steh auf und lebe!“ Trauen wir das Jesus zu? Das er immer noch geistlich tote Menschen ins Leben zurückruft? Und das er uns dabei gebrauchen will, damit „Tote“ ins Leben finden, wirklich und dauerhaft und ewig leben können?

Das für mich größte Wunder ist immer wieder neu am offenen Sarg eines Christen stehen zu müssen und dennoch trotzig und mutig der Trauer und dem Schmerz entgegen halten zu können: Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. Amen.

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