MENSCHEN AUF DER FLUCHT -
DIE GEMEINDE HINTER DEM JOHANNESEVANGELIUM
Wer flieht, muss gewoehnlich viel hinter sich lassen.
Da ist Besitz, die Umwelt von Kindheit an, da sind die sozialen Bezuege, die Freundschaften, die Graeber,
die Arbeitsstelle. Doch von all dem ist bei Johannes nicht die Rede. Nur eines
weist auf Flucht hin: An drei Stellen im Evangelium wird von einem Verlust fuer die Gemeinde gesprochen. Es ist der Verlust der
Synagoge. Nicht dass sie zerstoert waere in dem Ort oder in den Orten der johanneischen
Gemeindeglieder. Sie steht wie schon lange. Sie ist auch geoeffnet.
Viele gehen weiter hinein, besonders am Sabbat. Aber von einem bestimmten Datum
an - etwa um 85 nach Chr. - kann kein Christ mehr am juedischen
Gottesdienst teilnehmen.
Was war geschehen? Im Talmud, dem grossen Gesetzes- und Geschichtenwerk des Judentums, wird
von einer wichtigen Aenderung eines Gebetes
gesprochen. Das 18-Bitten-Gebet - etwa unserem Vaterunser zu vergleichen, wenn
auch viel laenger - sollte aus aktuellem Grund
erweitert werden. Viele Forscher vermuten heute, dass der Grund der Erweiterung
das Wachstum christlicher Gemeinden innerhalb juedischer
Gemeinwesen war. So kann man im Talmud lesen: "Unsere Meister lehrten:
Schimon, der Flachshechsler, ordnete die achtzehn Segenssprueche in ihrer Reihenfolge vor Rabban
Gamliel in Jawne. Rabban Gamliel sagte zu den
Weisen: Gibt es etwa einen, der einen Segensspruch von den Ketzern festzusetzen
versteht? Da stand Schmuel, der Kleine, auf und
setzte ihn fest...". Bis zu jenem Tag hatte man
die zwoelfte der 18 Bitten so gesprochen: "Den Abtruennigen sei keine Hoffnung, und die freche Regierung
(= Rom) moegest du eilends ausrotten. Gepriesen seist du, Jahve, der Freche beugt!" Zusaetzlich formulierte nun Schmuel,
der Kleine: "Die Nazarener und die Haeretiker moegen umkommen in einem Augenblick, ausgeloescht
werden aus dem Buch des Lebens und mit den Gerechten nicht aufgeschrieben
werden."
Man kann diese Formulierung in ihrer geschichtlichen Bedeutung
wohl nicht gross genug einschaetzen:
Wer von den Christen weiter am Synagogengottesdienst teilnehmen wollte, konnte
es nur, indem er "Amen" nach dem Gebete sprach, also indem er gegen
sich selbst betete. Er konnte nur dann die Synagoge weiter besuchen, wenn er
aus seiner Ueberzeugung heraustrat, aus dem Glauben
an den Nazarener als lebensspendenden Christus
heraustrat, hinter sein eigentliches Ich zuruecktrat
in seine vorchristliche Existenz. Ging er nicht hinter seine eigenen Ueberzeugungen zurueck, dann war
er durch das Gebet ausgeschlossen aus der juedischen
Gemeinde. Er hatte sein Aegypten, das ihm keinen
Lebensraum gewaehrte, aus dem er fliehen musste in
die Wueste. Denn: Ohne Synagogenzugehoerigkeit, ohne
Lebensrecht bei Gott - keine sozial moegliche
Existenz in einem juedischen Ort, kein
"Seine/Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens" - wie es
noch heute auf juedischen Grabsteinen steht, sondern
Flucht aus Synagoge und Gemeinwesen, Flucht in Gebiete, in denen es soziale Ueberlebensmoeglichkeiten gab, also etwa nach Samaria oder in die Diaspora, Flucht aus Heimat, Beruf und religioeser Tradition. Von solchem Synagogenausschluss
berichtet das Johannesevangelium in 9,22 , 12,42 und
16,2. Wenn im 18-Bitten-Gebet auch Gott allein gebeten wird, dass die Nazarener
in einem Augenblick umkommen moegen und aus dem Buch
des Lebens ausgeloescht werden sollen, so wird es
sicher einzelne juedische Gemeinschaften gegeben
haben, die das Gericht in eigene Hand genommen und einzelne Christen getoetet haben. Joh 16,1-4 heisst es, dass Jesus sagt: "Solches habe ich
zu euch geredet, damit ihr nicht Aergernis nehmt. Sie
werden euch in den Synagogen-Bann tun. Ja, es kommt die Stunde, dass, wer euch toetet, wird meinen, er tue Gott einen Dienst damit. Und
solches werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen.
Aber solches habe ich zu euch geredet, damit, wenn die Stunde kommen wird, ihr
daran gedenkt, dass ichs euch gesagt habe." Tod
oder Flucht - das sind die beiden Moeglichkeiten der johanneischen Gemeinde.
Das ist jedoch nur eine Seite. Die
andere muss unbedingt genannt werden: Ein Jude, der aus guten Gruenden nicht an Jesus als den Christus glauben konnte,
musste sich durch in den Synagogengottesdiensten predigende Christen staendig provoziert fuehlen. Ihm
wurde von den Christen abgesprochen, durch das Halten der aus der Bibel
hergeleiteten Gesetze das Leben zu haben. Hatte nicht ein Jude das Recht, sich
auf 3. Mose 18,5 zu berufen, wo es heisst: "Darum sollt ihr meine Satzungen halten und
meine Rechte. Denn der Mensch, der sie tut, wird durch sie leben." ? Musste er als frommer Jude denjenigen Juden nicht
das Recht auf Lebenshoffnung absprechen, die - Christen geworden - alle Gesetze
ueber Bord warfen und immer und immer wieder und nur
von dem einen Gesetz sprachen, das bei Johannes so formuliert ist: "Das
ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt."-
13,34? Mussten sich gesetzestreue Juden nicht gegen den aus ihrer Sicht staendigen "Missbrauch" des Gottesdienstes in der
Synagoge durch Christen wehren? War es nicht rechtmaessig,
Gott deswegen im Gebet anzurufen und das 18-Gebet so zu formulieren, dass es
gleichzeitig auch Tat, eigene Tat, war? Ist es nicht Gottesdienst, den
Gottesdienst von Abtruennigen zu reinigen?
Auch wenn ich diese Ueberlegungen
nicht teile, so muessen sie doch ausgesprochen
werden, damit antijuedisches Verhalten nicht weiter
von Christen Ausgang nehmen kann.
Im Endergebnis also: Die johanneische Gemeinde als fluechtende
Gemeinde, als um ihr Leben rennende Gemeinde in einer neuen Wueste
- aber als Gemeinde, die erfaehrt: "Nicht Mose gab ihnen damals Brot aus dem Himmel zu essen, sondern
mein Vater gibt euch das rechte Brot vom Himmel." Die johanneische
Gemeinde erfaehrt auf ihrer Flucht Christus als
Anwesenden. In ihm gibt Gott ihr Brot des Lebens. Und sie erlebt nach der
verschlossenen Tuer der Synagoge den, der spricht:
"Ich bin die Tuer; wenn jemand durch mich
eingeht, der wird gerettet werden..." - Joh
10,9.
Wenn die johanneische
Gemeinde flieht und nicht das Martyrium sucht, kann sie sich an Jesus
orientieren, von dem im Johannesevangelium wiederholt berichtet wird, dass er
sich verborgen hat. Nun kann niemand dieser Gemeinde das Sich-verbergen
zum Vorwurf machen.
Wenn wir zu diesem Evangelium weiteren
Zugang finden wollen, muessen wir bei allen Worten
bedenken: Sie sind zu solchen gesagt, die auf der Flucht sind, die um ihr Leben
laufen - und deren Leben mit ihnen laeuft: Christus.
Am besten aber werden das Johannesevangelium diejenigen Christen in der Welt
verstehen, die um ihres Glaubens an Christus willen verfolgt werden und fluechten muessen.
Aus der Literatur:
Verordnung zum Reichsbuergergesetz vom 14.11.1935:
"Juden (d.h. wer von mindestens 3 der Rasse nach volljuedischen
Grosseltern abstammt, wobei als volljuedisch gilt,
wer der juedischen Religionsgemeinschaft angehoert, oder Mischlinge mit zwei volljuedischen
Grosseltern...)koennen nicht Reichsbuerger
sein, haben kein politisches Stimmrecht und duerfen
kein oeffentliches Amt bekleiden..."
Das "Schemone essre" - wegen der urspruenglich
enthaltenen 18 Segenssprueche auch als Achtzehntgebet bekannt - gilt als Hauptgebet des taeglichen Morgen-, Nachmittags- und Abendgottesdienstes.
Jeder der Saetze beginnt mit einem Segensspruch und schliesst mit einer charakteristischen Eigenschaft Gottes
(z.B. "der die Toten erweckt", "der die Verstossenen
sammelt").
M. Buber: Erzaehlungen der Chassidim, Manesse Verlag 1949 S.
273
"In Lemberg kamen mehrere Zaddikim zusammen und
berieten sich ueber die Verderbtheit des Geschlechts.
So viele schwueren die heiligen Sitten ab, zoegen kurze Gewaender an, schoeren Bart und Schlaefenlocken
und fielen auch bald der inneren Abtruennigkeit
anheim. Man muesse dem broeckelnden
Gestein Halt gebieten oder gewaertig sein, dass an
einem unfernen Tag der ganze hohe Bau einstuerze.
Daher beschlossen die Versammelten, einen festen Grenzdamm zu errichten und
damit zu beginnen, dass den Ungetreuen fortan verwehrt sein solle, das
geistliche Gericht anzurufen. Doch kamen sie ueberein,
die Gueltigkeit des Beschlusses auszusetzen, bis auch
Rabbi Wolf von Zbara^z ihm zustimmte. Etliche Zaddikim ueberbrachten ihm
Bericht und Ansuchen. <Liebe ich euch denn mehr als sie?> sagte er. Der
Beschluss blieb unausgefuehrt.
FLUCHT, DIE ZUM SINNVOLLEN AUSZUG WIRD
-
DIE GROSSE SICHT DES EVANGELISTEN
Im Johannesevangelium entdeckt man,
dass nicht nur das "Brot aus dem Himmel" an die Flucht aus Aegypten erinnert, sondern dass der Evangelist mehr als
eine Anspielung an diese Grunderfahrung des Volkes
Israel beabsichtigt. Die von Johannes angesprochene Gemeinde erlebt auch die
anderen Wunder der Exodus-Zeit, aber mit einem Unterschied zu den Menschen der Mosezeit: Jene christliche Gemeinde kann auf den Fuehrer und Vermittler Mose
verzichten, weil sie Christus selber bei sich hat: "Das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus
Christus geworden." - 1,17.
Hier ist eine Erklaerung notwendig:
Schon juedische Ausleger haben darauf Wert gelegt,
dass Gott, der Unsichtbare, immer dann, wenn er Menschen in einer besonders eindruecklichen Weise begegnet ist, seine Zuwendung in eine
dem Menschen ertragbare Form gekleidet hat. Diese Form konnte z.B. LOGOS
genannt werden. Das ist eine Form, die Gott beinhaltet, aber doch nicht ganz
fasst. Ein paar Beispiele: Als Abraham in 1. Mose 18
Besuch bekommt, ist unter den drei Besuchern einer, der diese Form fuer Gottes Anwesenheit darstellt. Als Jakob in 1. Mose 28 einen Traum hat, sieht er, dass die
"Form" der Anwesenheit Gottes staendige
Verbindung mit Gott hat. Als Mose am Dornbusch sein
Berufungserlebnis hat, begegnet ihm die "Form" - nicht Gott in seinem
umfassenden Sein. Als die Israeliten nach dem Auszug aus Aegypten
in der Wueste lebten, kam ihnen Gott in der
"Form" einer Wolke und einer Feuersaeule
nahe, in der Form des Brotes und des Wassers. Als Jesaja berufen wurde, sah er
in Jes 6 die "Form" Gottes, den LOGOS. Der
Evangelist Johannes ist ueberzeugt, dass Jesus, der
als Mensch Menschen begegnet, diese Form Gottes ist. Waehrend
Mose den Menschen seiner Zeit nur das Gesetz geben
konnte - Lebens- und Handlungsanweisungen fuer den
Israeliten - ist in der Jesuszeit der Logos begreifbare Form, Mensch wie du und
ich geworden: "Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns..." - 1,14.
Die Gemeinde des Messias erlebt nun ihren Auszug viel intensiver, weil sie
im Unterschied zu den Fluechtenden der Mosezeit glaubt.Die johanneischen Christen fliehen unter der Leitung des
Christus: ER kann wie in 2. Mose 3 sagen: "ICH
BIN " - Joh 8,28. ER kann die Duerstenden zu sich rufen: "Wen da duerstet,
der komme zu mir und trinke". ER ist das Brot des Lebens (6,35). Gegen Ihn
murren auch einige - wie auch bei dem Auszug unter Mose
das Volk murrte. ER ist das voranziehende Licht der
Ausziehenden: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in
der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben." In Ihm
ist das Heil fuer die dem Tode Verfallenen: "Wie
Mose in der Wueste die
Schlange erhoeht hat, so muss der Menschensohn erhoeht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das
ewige Leben haben." - 3,14f. Der neue Auszug soll alle Menschen in der
ganzen Welt in Bewegung setzen: Aus der Knechtschaft der Suende
in die Freiheit der Kinder Gottes, aus der Blindheit ins Sehen der Herrlichkeit
- Joh 8 und 9. Und so wandelt sich fuer den Evangelisten durch die Begegnung mit dem ihn ansprechenden
Christus die Flucht vor den Verfolgern, die Christen aus der Synagoge verstossen, die bedrohen, steinigen und sogar toeten in den sinnvollen Auszug aus dem Tod ins Leben.
Gegen diesen neuen Auszug ist der alte nur eine Vorahnung, weil jener wohl aus Aegypten fuehrte, aber nicht aus
dem Grundproblem des Menschen, dem Tod, wie der Auszug unter Christus. Das auf
der Flucht befindliche kleine Haeuflein von Christen
also: Der Anfang einer Gemeinschaft, die Vorhut, die aus dem Tode ins Leben
zieht. Tiefste Verzweiflung und Not direkt neben groesstem
Selbstbewusstsein, das Wort, den LOGOS, bei sich zu haben. Das ist die grosse Sicht des Evangelisten, die er fuer
alle Zeiten zu vermitteln sucht.
WOHER DIE FLüCHTENDEN
KOMMEN, WOHIN SIE GEHEN -
SOZIOLOGISCHE UND THEOLOGISCHE üBERLEGUNGEN
Woran erkennt man die
Herkunft von Fluechtlingen in unserer Zeit? Bei
Afrikanern sieht man es auf den ersten Blick, bei manchen hoert
man es an ihrer Sprache, bei anderen an der Musik, die sie machen. Welche Moeglichkeiten aber hat man, die Herkunft der Fluechtlingsgemeinde des Johannesevangeliums
herauszufinden? Da gibt es doch eine ganze Menge Anhaltspunkte: Da ist einmal
der Ausschluss aus der Synagoge, da sind die Feste der Juden, die ueberaus vielen Anspielungen auf das AT, die nur intensiv
forschenden juedischen Menschen bekannt gewesen sein duerften. Das Johannesevangelium ist das Evangelium einer
aus dem Judentum herkommenden Gemeinde. Aber man kann mehr sagen. So wie sich
viele Jahre lang DDR und Bundesrepublik auseinandergelebt
haben und ihren eigenen Sprachgebrauch entwickelt haben innerhalb von nur 40
Jahren, so haben sich in Israel drei Regionen auseinandergelebt:
a) Die Juden im Sueden, in Juda,
- b) die Samaritaner, noerdlich
davon gelegen - c) die Galilaeer, noch weiter noerdlich. Die Zeit der
Grenzziehung
zwischen Juda und Israel war schon im Jahre 932 v.Chr. Der politische Untergang Israels mit der Hauptstadt Samaria war 722/21 v.Chr. Bestaetigung fand die Grenze noch einmal etwa 520 v. Chr.,
als die Jerusalemer den der Glaubensvermischung verdaechtigten
Juden aus Samaria, aus dem Nordreich, verboten, am
Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels mitzuarbeiten. Die Samaritaner
bauten sich dann ihren eigenen Tempel auf dem Berge Garizim,
benutzten in ihren Gottesdiensten nur die Fuenf Buecher Mose. Eine kleine Gruppe
von Samaritanern feiert bis zum heutigen Tage in
diesem heiligen Bereich des Garizim ihr uraltes Passafest. Die Galilaeer, an
ihrer Sprache leicht von Judaeern zu unterscheiden,
hielten zwar am Tempelbesuch in Jerusalem fest, entwickelten jedoch keine
Zukunftshoffnung, die mit David zusammenhing, dem grossen
Koenig aus dem Suedreich, der im Norden wohl immer
mit Skepsis betrachtet wurde. Erst recht distanziert war der Norden gegenueber den Nachfolgern Davids, bis dann 932 v. Chr. die
Eigenstaendigkeit des Nordreichs Israel erkaempft war. Wenn im Johannesevangelium die Hoffnung auf
David und seinen endzeitlichen Sohn keine Rolle spielt, wenn eine Geburt Jesu
in Bethlehem abgelehnt wird und das Gute aus Nazareth kommt, wenn man dagegen samaritanische Theologie geachtet sieht und wenn man im
Johannesevangelium auch wie die Samaritaner auf den
Propheten wie Mose hofft, dann wird man mit Fug und
Recht sagen koennen, dass das Gros der
Gemeindeglieder der johanneischen Gemeinde aus dem
Nordreich kommt. Wenn man diese geographische Herkunft in Betracht zieht, wird
manches im Johannesevangelium besser verstehbar, vergleicht man es etwa mit den
Evangelien von Matthaeus und Lukas Die
Weihnachtsgeschichte des Lukas mit ihrem David - Bethlehem - Hintergrund haette mit Bestimmtheit in der Gemeinde des
Johannesevangeliums zu grossem Nachfragen und zu
Zweifeln gefuehrt.
Die
Weihnachtsgeschichte des Johannesevangeliums - wenn man einmal bei diesem
Begriff bleibt - ist in Joh 1 enthalten, besonders
dann in den Worten: "Und das Wort ward Fleisch und wir sahen seine
Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller
Gnade und Wahrheit" - 1,14. Die soziologische
Frage nach der Herkunft der Fluechtlinge ist also mit
der theologischen untrennbar verbunden: Hie Nordreich - da Suedreich,
hie Nordreichs-Theologie - da Suedreichstheologie. In
der Kirche werden sich die beiden Straenge dann wiederfinden: Hie Betonung des Jesus von Nazareth - da
Betonung des Jungfrauen- und Davidsohnes aus Bethlehem. Wenn man also ziemlich
genau sagen kann, woher die Johannes-Gemeinde kommt, die sich auf der Flucht
befindet, gibt es dann auch Moeglichkeiten, etwas ueber die Richtung ihrer Flucht und den Endpunkt zu sagen ? Wenn Sie eine Israel-Karte aufschlagen, so sehen
Sie, dass man aus dem Nordreich in folgende Richtungen fliehen kann: Ueber das Mittelmeer nach Aegypten,
Griechenland, Rom, dann: nach Norden, also in den
Libanon und ueber Syrien hinaus nach Kleinasien etwa,
dann nach Osten ueber den Jordan in das von bluehender griechischer Kultur gepraegte
Gebiet der sog. Zehn-Staedte und nach Nordosten, also
Richtung Bethsaida - Golanhoehen.
Alle diese Gebiete sind von Forschern am Neuen Testament als Wohnort der johanneischen Gemeinde in Betracht gezogen worden. In neuester Zeit denkt man aber mit vielen guten Gruenden an die Gegend im Nordosten, nur wenige Kilometer
von Kapernaum entfernt. Dort ist ein Gebiet, in dem
Juden und Griechen vermischt lebten und wo die Verfolgung durch antichristlich
gesinnte Juden wohl - vielleicht auch nur zeitweise - ertraeglich
war. Und: Statt der Isolation von der Synagoge erfaehrt
die johanneische
Gemeinde in ihrem neuen Wohnbereich eine neue Gemeinschaft, in der nicht
mehr das Gesetz in rabbinischer Auspraegung, sondern
das eine Gesetz, Liebe zu ueben, gilt. Nicht der
gemeinsame Gang in die Synagoge gibt Identitaet,
sondern die in der johanneischen Gemeinde geuebte
Liebe. Sie ist Erkennungszeichen. Letzten Endes ging es aber den
Gemeindegliedern nicht um eine neue Heimat in geographischer Hinsicht, sondern
um das Bewusstsein, von Christus in das Leben gefuehrt
zu sein, das nicht genommen werden kann: " ...wer mir nachfolgt, wird
nicht im Finstern wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben" - 8,12
- und im Hause des Vaters ankommen - 14,2.
Helmut Gollwitzer
ueber den 24.12.1945: (Aus: H. Gollwitzer:
Und fuehren, wohin du nicht willst Muenchen 1952 S.343)"Siehe, ich verkuendige
euch grosse Freude!" Auf kleine, glattgehobelte Holzbrettchen - Papier war hier eine
Seltenheit - hatten wir uns Weihnachtsgruesse
geschrieben; am Kopfende meiner Pritsche stand eines, auf das ein Kamerad mir Joh. 14,18 gemalt hatte, da er es oft von mir in meinen
Predigten gehoert hatte: "Ich lebe, und ihr
sollt auch leben." Beraubt waren wir all dessen, was das Leben lebenswert
macht, und nun stand hier geschrieben, dass uns das Leben nicht endgueltig versagt sein sollte. Ob uns Heimkehr (aus
Russland) bevorstand oder das Grab in der hartgefrorenen
russischen Erde, in das wir in diesem Winter noch so manchen von uns
hineinlegen sollten, - ins Leben hinein ging dieser harte Weg, das stand nun
fest, weil Weihnachten galt; das konnte uns nicht mehr genommen werden, das liess uns tief aufatmen.
Diese Ausführung wurde hier
entnommen: