Johannes 9, 35-41
Heilungsgeschichte
als Vorspann erzaehlen
Ehe der
Text verlesen wird, sollte in einem kurzen Vorspann die Heilung erzaehlt werden (vgl. die Hinführung zu Joh
9,1-7).
Synagogenausschluss
hervorheben
Dabei
sollte hervorgehoben werden, dass eine Gruppe
Jesus gegenüber feindlicher Juden den Synagogenausschluss für die Bekenner zu
Jesus als dem Christus beschlossen hatte. Dieser Ausschluss hat eine Art
Gesetzesform in der Erweiterung des 18-Bitten-Gebetes um das Jahr 85 n. Chr.
gefunden. Das Gebet wird von Juden regelmaessig
gesprochen. (aber: Aenderungen in neueren
Gebetbüchern!) Von diesem Gesetz war die johanneische
Gemeinde betroffen (vgl. zu 9,22: 12,42 und 16,2). Es bestand also die Gefahr,
dass der Blindgeborene auf der einen Seite seine koerperliche
Behinderung verlor und durch den Glauben an Jesus als den Christus eine in den
Augen von fanatischen Juden „geistliche“ Behinderung eintauschte. Sein Rauswurf
(9,34) ist wohl der erste Schritt zum Synagogenausschluss. Dieser wird folgen,
weil der Geheilte nicht mehr nur, wie in 9,33, sagen wird: “Waere
dieser nicht von Gott, so koennte er nichts tun“,
sondern, 9,38 zu Jesus sagen wird: „Ich glaube, Herr“ und sich vor ihm als dem
von Gott gesandten Vertreter Gottes anbetend niederwerfen wird. Der
Synagogenausschluss ist nur unumgaenglich.
Groesstes Wunder und groesste
Ungerechtigkeit an einem Tage!
Zurück
zu 9,35: Da steht nun der Geheilte und Ausgestossene.
Er hat an einem Tage sein groesstes Wunder und seine groesste Ungerechtigkeit erfahren, volles Leben und totale
Lebensbedrohung. Als Jude weiss man, wie man mit
Ungerechtigkeit umgehen kann: Man kann in grossem
Vertrauen auf Gottes in Dan 7,13 angesagten Menschensohn hoffen und auf sein
gerechtes Gericht. Als Jesus den Entrechteten findet, fragt er ihn deshalb:
„Glaubst du an den Menschensohn?“ Das heisst ja:
Glaubst du an deine Wiedereinsetzung in die Gerechtigkeit durch Gottes
Gesandten?
Ein Geheilter
erhebt Einspruch gegen Autoritaeten
Wenn
der Geheilte antwortet in 9,36 „Herr, wer ist´s, auf
dass ich an ihn glaube?“, dann beugt er sich nicht dem Hinauswurf
durch religioese Autoritaeten
als machtloser ehemaliger Bettler, sondern erhebt Einspruch, sieht und hoert Jesus als den Menschensohn und unterstellt sich ihm
mit seiner Rede und seiner Gebaerde. Er erfaehrt
dabei das, was Jesus 6,37 zugesagt hatte: „Alles, was mir mein Vater gibt, das
kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen.“
Jesus, nach Jes 6 zum Heilen berufen
Um die
folgenden Verse zu verstehen, muss man die Auslegung von Jes
6 durch den Evangelisten Johannes kennen. In diesem Kapitel beruft Gott unter
Beisein des Propheten Jesaja Jesus, der sich durch sein „Hier bin ich, sende
mich“ bereit erklaert zur Verkündigung der von Gott
gewollten Heilung (Jes 6,8-10). Wer sich aber nicht
heilen lassen will, zieht sich in eigener Verantwortung das Gericht Gottes zu
und wird blind.
Selbstblendung
Joh 9 ist also nicht nur die Geschichte eines Blinden, der sehend und
glaubend wird, sondern auch die Geschichte von Menschen, die sich sehend waehnen und durch ihr Verurteilen und Ausstossen
des Geheilten blind werden. Durch Christus wird die von Gott geliebte Welt zur
Heilung gerufen, aber manche vollziehen durch
Ausgrenzung, Verfolgung und Toetung von durch
Gott geliebten Menschen Gericht an sich selber, handeln aus Verblendung. (Diese
Ausgrenzung ist in der Neuzeit nicht
nur die von Einzelnen oder Gruppen, sondern von vielen Menschen, hauptsaechlich Juden, die in Konzentrationslagern der Welt
entrechtet wurden und werden.) Nur durch Reaktion der Verblendeten auf den zur
Heilung Gesandten wird dieser, Jesus – wider seine Intention – zum Richter. Am
Geheilten aber werden die Werke Gottes offenbar.
Den Text nicht
antijudaistisch verstehen!
Der
Text wird falsch verstanden, wenn er antijudaistisch
verstanden wird. Es handelt sich ja zuerst einmal um eine innerjüdische
Auseinandersetzung: Der Jude Jesus stellt sich hinter den blind geborenen Juden
und wahrt dessen Recht als eines Sehenden. Die angreifende Gruppe – wichtig ist
das „aus den Pharisaeern“ in 9,40 – ist nicht
in sich verdorben, sondern hat die Moeglichkeit,
sehend zu werden.
Praesentische Eschatologie
Johannes
vertritt hier – wie oft in seinem Evangelium – eine praesentische
Eschatologie: Der Menschensohn ist nicht mehr eine nur zukünftige, sondern eine
gegenwaertige, heilende und Recht schaffende Gestalt.
Er schafft nicht eine Trennung zwischen sehender Ecclesia
und blinder Synagoge, sondern an ihm entsteht Trennung, die eine Trennung
zwischen Mensch und Mensch ist und jederzeit aufgehoben werden kann, wenn
jemand Gott die Ehre gibt.
Verblendete in
der Kirche
In
diesem Sinne haetten im Laufe der Geschichte viele
verfolgende Gruppen wie die in 9,40 fragen koennen:
„Sind wir denn auch blind?“ und es waeren viele
darunter, die für sich in Anspruch genommen haben, Kirche zu sein.
Anmerkung:
Im Buch „Die Juden in Deutschland“ von Nachum T. Gidal, 1988 S. 38 ist ein Bild aus einem jüdischen
Gebetbuch aus dem 13. Jhd. wiedergegeben mit
folgendem Begleit-Text: „Versteckte Parodie auf die Darstellung von Ecclesia und Synagoga an vielen
Kirchen. Eine durch Krone gekennzeichnete Frau, die Ecclesia,
sitzt vor einem durch Judenhut gekennzeichneten
Jüngling. Hier traegt die Ecclesia
eine Augenbinde, wie sonst die Synagoga.“
Diese Abhandlung ist hier entnommen:
http://www.erlangen-evangelisch.de/johannesevangelium/index.htm