Johannes 9, 1-7 (vgl. die Hinführung zu 9,35-41)
Ich
mache erst einige Bemerkungen nur zu Joh 9,1-7,
beziehe mich dann aber auf das ganze Kapitel 9, das wohl schon in der Tradition
am Sabbat (9,14) spielt.
Heilung am
Sabbat des Laubhüttenfestes
Zu
9,1-7: Die kurze Geschichte ereignet sich im Kontext des Johannesevangeliums
noch am letzten Tag des Laubhüttenfestes, an dem zugleich der Beginn eines neues Lesungsjahres für
die Fünf Bücher Mose und die dazugehoerigen
Prophetentexte ist. Das spielt in 9,32 dann eine wichtige Rolle.
Die Tradition
des Wunderevangeliums
Die
Geschichte aus der Tradition des Wunderevangeliums erzaehlte
von Joh 9,1-7 wohl nur, dass Jesus einem
Blindgeborenen begegnet, die Jünger fragen: „Rabbi, wer hat gesündigt, er oder
seine Eltern, dass er blind geboren wurde?“ Jesus antwortet: „Weder er noch
seine Eltern haben gesündigt.“ Jesus spuckt auf den Boden, macht einen Brei
daraus, schmiert ihn dem Blinden auf die Augen und sagt zu ihm: „Gehe hin und
wasche dich (im Teich Siloah). Jener ging, wusch sich
und kam sehend zurück. Das Wunder am Sabbat hat dann eine Diskussion
hervorgerufen.
Siloah – Schilo - Gesandter
Wenn „Siloah“ schon zum ursprünglichen Text gehoert
hat, dann wollte schon das Wunderevangelium auf Jesus als Erfüller
der von Juden und Samaritanern als Weissagung
gesehenen Stelle Gen 49,8-12, als den „Schilo“ sehen.
Der Teich, aus dem man am Laubhüttenfest Wasser schoepfte
und es in einer Prozession zum Tempel brachte, wird dann mit dem Messias, dem „Schilo“ in Verbindung gebracht: In ihm soll sich der
Blindgeborene waschen. Wie das Wasser als Symbol beim Laubhüttenfest auch sonst
auf den Messias bezogen wird, sieht man an Joh
7,37ff, wenn Jesus spricht: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke. Wer an
mich glaubt...“.
Interpretation
durch Johannes
Johannes
hat dann folgende Erweiterungen in die alte Geschichte gebracht:
die Werke Gottes sollten am Blindgeborenen offenbar werden. Jesus
wird im Johannesevangelium wiederholt als der dargestellt, der Werke von Gott
und Worte übertragen bekommt. Ort und Zeit dieser Uebertragung
wird für Johannes in Jesaja 6 gesehen. Der Prophet wohnt diesem Geschehen bei
und berichtet davon.
ein synoptikeraehnliches Wort wird
eingefügt. Es findet sich zum Teil noch in Joh 11,9f:
„Jesus antwortete: Sind nicht des Tages zwoelf
Stunden? Wer des Tages wandelt, der stoesst sich
nicht; ...Wer aber des Nachts wandelt, der stoesst
sich...“. In Joh 9,4 heisst
es: „Wir müssen wirken (die Werke Gottes, der mich gesandt hat) solange es Tag
ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. (Dieweil ich bin in der Welt,
bin ich das Licht der Welt).“ Das überraschende „wir“ (Wir müssen wirken...) in
9,4 wird man vielleicht als Ueberbleibsel aus diesem synoptikeraehnlichen Wort verstehen koennen.
Johannes sieht das Wirken Jesu in den Glaubenden fortgesetzt.
Johannes zeigt die weltgeschichtliche Bedeutung der Heilung durch
das „Licht der Welt“ auf, aber weist auch gleichzeitig auf das Ende des
Wunderwirkens hin, auf die Nacht.
Was will der
Evangelist durch seine Auswertung klar machen?
Auswertung der Umgestaltung von Joh
9,1-7 durch den Evangelisten:
Johannes weist darauf hin, dass ein Mensch bei seiner Begegnung
mit Jesus nicht von seinem „ist“ her
festgelegt werden darf (hier von seinem Blindgeborensein), sondern von
seinem „werden koennen“ durch Gottes Wirken in Jesus.
Johannes zeigt das Wunder
in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung und sieht Jes
42,6f als in Jesus erfüllt – Licht der Heiden und der, der die Augen der
Blinden oeffnet. Er verbindet ausserdem die griechische Uebersetzung des Wortes „Schilo“ (von hebraeisch
‚schalach’, senden her gedeutet als ‚apestalmenos’, deutsch „Gesandter“) mit der Sendung Jesu nach Jes 6 – „Hier
bin ich, sende mich“.
Aber Johannes weist seine Gemeinde gleichzeitig darauf hin, dass
Jesus nur als „in der Welt, am Tage“ dieses Wunder wirkt. Die johanneische Gemeinde erlebt das
Wunder so nicht. Sie erlebt die Nacht
und die Ohnmacht.
Mut bekommen, sich zu Jesus zu bekennen
Aber gerade einer ohnmaechtigen Gemeinde
sagt die Geschichte vom Geheilten, der ohnmaechtig
den Maechtigen gegenübersteht und ihnen ausgeliefert
zu sein scheint, so viel, dass sie den Mut bekommt, sich zu Jesus zu bekennen.
Zum Gesamten von Joh 9:
Johannes hatte in dem Wunderevangelium eine kurze Erzaehlung der Heilung eines Blindgeborenen vorgefunden.
Sie sollte – wie die meisten anderen Wundergeschichten im Johannesevangelium –
Jesus als den für die Endzeit nach Mal 3,23f erwarteten Elia darstellen:
„Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe der grosse
und schreckliche Tag kommt. Der soll das Herz der Vaeter
bekehren zu den Soehnen und das Herz der Soehne zu ihren Vaetern, auf dass
ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage.“ (zu den Elia-/Elisa-Anspielungen
s. die Hinführungen zu Joh 2,4; 4,50; 6,9; 11,41f)
Wegen dieser Elia-Erwartung sind in die Wundergeschichten des
Johannesevangeliums schon in der Tradition Worte aus der Elia-/Elisatradition
eingefügt. In Joh 9,7 ist es die Aufforderung „Gehe
hin und wasche dich...“(2. Koen. 5,10). Durch solche
Einfügungen in Wundergeschichten sollte Jesus auch abgehoben werden vom Taeufer, der von manchen (von vielen?) als der
wiedergekommene Elia betrachtet wurde. Im Johannesevangelium weist der Taeufer das von sich (1,21) und wird als der
gekennzeichnet, der keine Wunder getan hat (10,40f). Wenn es 9,7 schon in der
Tradition geheissen haben sollte: „Gehe hin und
wasche dich im Teich Siloah, das ist verdolmetscht
‚gesandt’“, dann würde schon die Tradition die vorherrschende johanneische Darstellung Jesu als des Gesandten Gottes
vorbereitet haben.
Joh 9 und der Beginn des jüdischen Lesungsjahres
Der Evangelist Johannes hat die Blindenheilungsgeschichte in ganz
neuen Bezügen gesehen und sie gestaltet:
Er hat (neben dem zu Joh 9,1-7
Bemerkten) sie im Zusammenhang gesehen mit der ersten Lesung im jüdischen
Lesungsjahr am Fest Simchat Tora – Freude am Gesetz.
Diese Lesung traegt die Ueberschrift
„Bereschith“ – „im Anfang“. Gelesen werden am ersten
Lesungstag Gen 1,1ff und Jes 42,6-22 bis zum heutigen
Tage. In Joh 9,32 heisst
es: „Vom Anbeginn der Welt (vgl. Gen 1,1) hat man nicht gehoert,
dass jemand einem Blindgeborenen die Augen aufgetan hat (Jes
42,5-7, vgl. Joh 9,5). Jesus, der den Blindgeborenen
heilt als Schoepfungstat, ist für die johanneische Gemeinde der Erfüller
jener ersten Schriftlesung im Lesungsjahr. Man wird wohl nicht fehlgehen, dass
im Gottesdienst der johanneischen Gemeinde jüdische
Schriftlesungen z. T. übernommen worden sind, bestimmt jedoch die von Simchat Tora.
Für Johannes leuchtet im Wunder die Herrlichkeit auf, die Jesus von Gott hat (vgl. z.B. 2,11). Das
Wunder ist das Werk Gottes, durch Jesus vermittelt (9,4f).
Die in der traditionellen Geschichte wohl schon erwaehnten Pharisaeer, die den
Sabbat durch Jesu Heilung entheiligt sahen (9,16), sieht Johannes im
Zusammenhang mit der in johanneischer Zeit nach dem jüd.-roem. Krieg herrschenden Pharisaeer-Behoerde, die Christen befragt und aus der Synagoge
ausstoesst (9,22).
Johannes entwickelt die traditionelle Geschichte zu einer Geschichte eines koerperlich
und geistlich zum Sehen gelangenden Menschen (9,37f), und in der
Gegenbewegung wird die unverstaendliche Erblindung von Pharisaeern
gezeigt mit dem Hoehepunkt in 9,39-41. Johannes sieht
in dieser doppelten Entwicklung, wie sich Jes 6,8-10
im Beisein Jesu verwirklicht: Heilung und Verblendung (vgl
12,39-41). Gegenüber stehen sich in Zukunft die Jünger „jenes“(9,28) und die
Jünger des Mose.
Johannes stellt weiter Jesus und
Mose gegenüber. Nicht nur mit Mose hat
Gott gesprochen, wie Pharisaeer betonen, sondern Gott
hat mit Jesus gesprochen und spricht mit ihm nach johanneischem
Verstaendnis von Jes 6,1ff.
Ecclesia und Synagoge stehen sich gegenüber.
Ecclesia und Synagoga
Verblendung von manchen „Christen“ wird in spaeteren
Jahrhunderten aus dem Verstaendnis von Joh 9 ein unseliges Dogma daraus machen: Die Kirche sieht,
die Synagoge ist blind. Dieses Dogma mancher „Christen“ berechtigt sie ihrer
Meinung ihrerseits zu Ausstossung und Verfolgung und Toetung von allen Juden.
Antijudaismus ist nicht die Intention des Johannesevangeliums
Die absolut machtlose und gewaltfreie johanneische
Gemeinde haette diese Entwicklung als gegen Gottes
Willen und gegen den Willen Jesu als Koenig der Wahrheit gerichtet bekaempft. Antijudaismus ist nicht die Intention des
Johannesevangeliums, wohl aber die Suche nach Gerechtigkeit für entrechtete
Christen, die sich gegen eine machthabende und die
Macht missbrauchende religioese Autoritaet
wehren.
Das jüdisch-christliche
Verhaeltnis in der Predigt
Die Predigt koennte also auch Einblicke
in die Entwicklung einer urchristlichen Gemeinde geben anhand der Entwicklung
eines Einzelnen, des Blindgeborenen. In diesem Einzelnen kann sich jedes
Gemeindeglied wiederfinden und Kraft für den eigenen
Weg finden.
Thematisiert werden koennte das
jüdisch-christliche Verhaeltnis bis hin zu den Aeusserungen von kirchlicher Seite am Ende des 20.
Jahrhunderts. Dazu gehoert die Reflexion über Jesus
als Licht der Welt und über die Verblendung von Menschen.
Diese Abhandlung ist hier entnommen:
http://www.erlangen-evangelisch.de/johannesevangelium/index.htm