Johannes 6,30-65

Johannes 6,30-35

 

Gefaehrliche Situation: damals, in der Wüste – und jetzt, waehrend des Hoerens

Es geht um eine Gruppe derer, die sehen moechte und einem Menschen glauben moechte. Es geht um eine moegliche totale Festlegung von Menschen auf einen Menschen – und das ist hoechst wünschenswert, aber auch hoechst gefaehrlich. Die Gespraechspartner Jesu müssen in ihrer Geschichte über eintausend Jahre zurückgehen, um an eine hoechst wünschenswerte und gefaehrliche Situation wie die augenblickliche zu kommen: Nach dem gewagten Ausbruch aus der Sklaverei in Aegypten finden sich die Vorvaeter mit dem, dem sie geglaubt haben, hungrig in der Wüste vor und erleben ein Wunder: Essen! Wer isst, hat leicht glauben? Berichtet wird aber von den Ausgezogenen, dass sie Mose steinigen wollten!

 

Situation der Zuhoerer Jesu

Die Zuhoerer Jesu sagen mit ihrem Bückbezug auf eine herausragende Situation der Geschichte Israels dreierlei über sich selbst:

*   Es geht ihnen extrem schlecht

*   Nur ein Wunder kann ihnen helfen

*   Wer das Wunder vollbringt, dem werden sie anhaengen.

 

Ein falsch zitierter Bibeltext

Die Gespraechspartner Jesu haben ein schlechtes Beispiel gewaehlt: einen Bibeltext aus Ex 16 – oder besser: einen von ihnen verbogenen, falsch zitierten Bibeltext. Er besagt naemlich gemaess ihrer Meinung:

*   Der Wundertaeter damals war Mose

*   Es gab Brot

*   Erlebt haben das die Vaeter

 

Korrektur des Textes durch Jesus

Jesus korrigiert:

*   Gott – mein Vater – ist der Wundertaeter

*   Gott gibt. Er gibt immer zu allen Zeiten

*   Es geht bei der Gabe nicht um Brot, sondern um wahrhaftiges Brot

*   Gott gibt es euch, den jeweiligen potentiellen Empfaengern

Die Zuhoerer wollen also durch das Verbiegen des Bibeltextes Gott zu dem machen, der in herausragenden Situationen von Zeit zu Zeit mit Hilfe einer Person handelt. Nun wollen sie das Privileg, dass Gott wieder einmal so handelt.

 

Die Anrede durch Gott annehmen

Es geht also bei dem Gespraech um unseren Glauben, um die Moeglichkeit, das wahrhafte Brot, das Gott uns gibt, mit unseren Argumenten und Verbiegungen abzulehnen und uns der Anrede Gottes zu entziehen. Es geht auch nicht um unser persoenliches Heil oder das unserer Gruppe, sondern um das Leben der ganzen Welt, die ohne das Annehmen des wahrhaften Brotes Gottes Kosmos bleibt, der aegyptischen Unfreiheit und dem Tod in der Wüste verhaftet, wie die angesprochenen Vaeter. Gott will in Jesus, seinem von ihm Gesandten, dass Menschen nie mehr nach Gott und Leben hungern und dürsten.

 

Joh 6,47-51         

 

Johannes 6 ist ein Gesamtkunstwerk.

Deswegen sind Predigten über Abschnitte daraus ein Notbehelf. Es waere allerdings besser, wenn dieser Notbehelf nicht noch weiter verschlechtert würde durch den Texteinsatz in 6,47.

 

Der bessere Textbeginn: 6,45

Besser waere der Beginn mit 6,45: „Es steht geschrieben in den Propheten: ‚Sie werden alle von Gott gelehrt sein’.“

Jeder jüdische Zuhoerer zur Zeit Jesu kann diesem Schriftwort zustimmen. Aber, – so die Argumentation Jesu und des Evangelisten – weil man Gott nicht sehen kann, dass er alle lehrt, hat er als sein Wort seinen Sohn gesandt.

 

Das grosse Geschehen in Jesaja 6

Angespielt wird auf Jes 6, das vom Evangelisten als Gespraech zwischen Gott und seinem Sohn verstanden worden ist. Der Prophet Jesaja hoert, wie Gott die Frage stellt, wen er senden soll und wer Bote sein soll. Als Antwort hoert er: „Hier bin ich, sende mich!“ Diese Stimme ist für Johannes die Stimme des Sohnes, den Jesaja gesehen hat, denn Gott kann man ja nicht sehen, auch Jesaja konnte ihn nicht sehen. Johannes hat also jüdisches Nachdenken über den Jesajatext (wie man es im Targum findet) von Jesus her verstanden: Jesus ist im gesamten Johannesevangelium der, den Gott gesandt hat und alle mit Gotteslehre lehrt. Weil Gott, in dem das Leben ist, zu Jesus spricht, wird Jesus auch in seinem lehrenden Wort zum Mittler dieses Lebens und es kann heissen: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.“ (3,36)

 

Alle sollen von Gott gelehrt sein! Also: Auch ich soll von Gott gelehrt sein

Johannes verbindet in 6,45-51 auf engstem Raum folgende für ihn zentrale Aussagen des AT: Jes 54,13 (von Johannes als Verheissung des Geistes für alle verstanden), Jes 28,16 (von Johannes verstanden als ‚jeder, der an Jesus glaubt, hat das Leben’), Jes 6 (von Johannes als von Jesus verstanden, der allein den Vater gesehen hat) und Ex 16,4.15 (von Johannes verstanden als Gottes Brot für jeden Menschen), verbunden mit der Gottes- und Gottesbotenbezeichnung ‚Ego Eimi – Ich bin es’ aus Deuterojesaja (z.B. 45,18f).

Alle diese Stellen haben gemeinsam, dass sie Verheissungen sind, die nach johanneischem Verstaendnis alle Menschen in der Welt einschliessen, dass Jesus also Heil der Welt und Heiland der Welt ist. Insofern sind diese Worte auch an mich gerichtet: Auch ich soll von Gott gelehrt sein, auch ich soll das Leben haben, auch zu mir redet Jesus, auch für mich ist das Brot vom Himmel gedacht.

 

Einladung, zu Jesus zu kommen

Das allen Zuhoerern Jesu bekannte Gotteswort „Sie werden alle von Gott gelehrt sein“ aus Jes 54,13 laedt zu Jesus ein: „Wer es nun hoert vom Vater und lernt es, der kommt zu mir.“ Es geht beim Kommen zu Jesus um das Hineinkommen in das Gesamte des Jesusgeschehens und ist nicht nur eine oft benutzte Floskel. Es geht um die Meditation meines gesamten Lebens und der Welt im Lichte des gesamten Lebens Jesu.

Mit dem zweiten Teil von V.51 („...und das Brot, das ich geben werde, das ist mein Fleisch...“) spricht Jesus im Anschluss an für Johannes sehr wichtige Worte aus LXX Ps 39 (Ps 40,7-9 in der Biblia Hebraica und der Lutherbibel. Johannes hat diesen Text so gelesen, wie er vom Hebraeerbrief gelesen worden ist: „Darum spricht er bei seinem Kommen in die Welt: ‚Opfer und Gaben hast du nicht gewollt; einen Leib aber hast du mir bereitet’.“): Er spricht von der Gesamtheit des Jesusgeschehens, das im Tun des Willens Gottes auch die freiwillige Hingabe des Lebens für die Gesamtheit der Welt einschliesst. Gott gab seinen eingeborenen Sohn als Wort des Lebens und dieses Wort des Lebens gibt sich selbst in eigener Entscheidung (Joh 10,18) für das Leben der Welt.

 

Joh 6 – eine Geschichte vom grundsaetzlichen Umgang Gottes mit den Menschen durch Jesus

Die alttestamentliche Manna-Geschichte wird also nicht als isoliertes Wunder verstanden, von dem Spaetere wehmütig sagen koennten: „Würde es mir doch einmal widerfahren!“, sondern ist eine Lebensbrot-Geschichte des grundsaetzlichen Umgangs Gottes mit den Menschen aller Zeiten und dem Ziel des Heils, des Lebens, durch Christus

 

Joh 6,55-65

 

Beginn (6,1-15): die Speisungsgeschichte            -

Ende (6,66-71): Unglaube und Verrat oder:

Bekenntnis

Auch wenn Joh 6 aus unterschiedlichen Quellen stammt, so ist doch das Kapitel in meiner Sicht, wie es jetzt dasteht, ein Gesamtkunstwerk des Evangelisten Johannes. Es knüpft an die traditionelle Geschichte von der Speisung der 5000 an und führt über verschiedene Stationen am Ende zu zwei Einzelpersonen mit verschiedener Haltung: Einer, Petrus, bekennt sich im Namen anderer Jünger zu Jesus. Der andere, Judas Ischarioth, wird Jesus verraten.

Zu diesem Ergebnis kommt es in dem Kapitel durch Gespraeche Jesu mit Zuhoerern.

 

Von der aktuellen Speisung über die Situation vor über 1000 Jahren vor Chr. in der Wüste bis zur Jetztzeit

Der grosse Schritt, den Jesus macht, ist von der geschehenen Speisung zu einer Situation in der Geschichte Israels, als die Führung aus der Sklaverei in Aegypten durch Gott im Murren der Geführten endete:

 

2.Mose 16,8

„Weiter sprach Mose: Der Herr wird euch am Abend Fleisch zu essen geben und am Morgen Brot die Fülle, weil der Herr euer Murren gehoert hat, womit ihr wider ihn gemurrt habt. Denn was sind wir? Euer Murren ist nicht wider uns, sondern wider den Herrn.“

Die drei Worte in Schraegschrift und die ganze Situation in der Wüste finden sich in Joh 6, wo Jesus eine Interpretation des Brotes als Brot, das Gott jetzt vom Himmel gibt und des Fleisches, das Gott in Jesus gibt, der Fleisch geworden ist (Joh 1,14), der sich für das Leben der Welt gibt in seinem Leib (Joh 2,21; 10,17f; 19,38-40).

 

Brot und Fleisch

Waehrend die murrenden Vaeter in der Wüste gestorben sind, verheisst Jesus denen, die sein Wort und seinen Lebensweg annehmen, Leben in Ewigkeit.

„Brot“ wird zum Symbol für das zu hoerende und zu sehende Geschehen zwischen dem Gesandten Gottes und den Menschen (vgl Joh 6,45: Alle werden Belehrte Gottes sein).

„Fleisch“ wird zum Symbol für die gesamte Lebenshingabe Jesu (im Anschluss an das Verstaendnis von LXX Ps 39,7, wie es sich auch in Hebr 10,5-10 zeigt, aber aus der Uebersetzung Luthers nicht ersichtlich ist – vgl. die Erklaerung bei der Hinführung zu Joh 6,47-51)). Es wird also in Joh 6,51ff nicht nur auf das Abendmahl angespielt, sondern auf die gesamte Lebenshingabe Jesu, wie der genannte Psalm auch zeigt: Ps 40,8-9: „Da sprach ich: Siehe, ich komme; im Buch ist von mir geschrieben:

9 Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen.“

 

Nur Joh 6,51-59 als Predigttext

In der Predigt sollte der Text ab 6,51-6,59 verlesen werden. V. 60ff bringt dann noch neue Gedanken, die in dieser Predigt wegen der Kompliziertheit des Textes nicht auch noch angesprochen werden sollten.

 

Ein Geschehen für das Leben der Welt

Es geht im Predigtwort nicht um ein Geschehen mit einer grossen Gruppe von Juden zur Zeit Jesu, sondern um ein Geschehen für das Leben der Welt! In unserer Zeit, die voll ist von Tod und Unverstaendnis gegenüber dem Leben aus Gott ist V. 51 besonders wichtig.

 

Hadern – Streiten – Steinigung – Tod - Kreuz

Eine Form dieses Unverstaendnisses gegenüber dem Leben aus Gott zeigt sich in 6,52, wo bezeichnenderweise das Wort „streiten“ steht, das Luther in Ex 17,2.7 mit „hadern“ wiedergibt (2.Mose 17,2:

„Und sie haderten mit Mose und sprachen: Gib uns Wasser, dass wir trinken. Mose sprach zu ihnen: Was hadert ihr mit mir? Warum versucht ihr den Herrn?“ Dieser Streit mit Mose führte beinahe zu seiner Steinigung. Der Streit mit Jesus wird zum Kreuz führen – und zum Leben.

Wenn Jesus das Unverstaendnis in 6,53 sehr verstaerkt, weiss die johanneische Gemeinde, die Abendmahl feiert, dass das Verlassen der Gemeinde (vgl. den Begriff „bleiben“ in 6,56) und die Aufgabe der Teilnahme am Mahl Aufgeben des von Gott geschenkten Lebens bedeutet.

 

Ein Leben nur auf der unteren Ebene des Essens und Trinkens führen? Oder: In der Gott in Jesus feiernden Gemeinde Gottes Ebene erleben?

Es geht im Predigtabschnitt auch um existentielle Probleme der johanneischen Gemeinde und stellt uns die Frage nach unserer Bindung an den Jesus im Abendmahl und am Kreuz.

In 6,57 wird der Weg des Lebens beschrieben: Vom sendenden und lebendigen Vater über den gesandten Sohn hin zur feiernden Gemeinde.

6,58 wird die alte Form des Lebens beschrieben, in der man auf der unteren Ebene bleibt und nur etwas zu kauen haben will. Es endet im Tode.

 

Verkündigung Jesu in der grossen Gemeinde

6,59: Die Notiz von der Lehre Jesu in der Synagoge von Kapernaum ist für Johannes und seine Gemeinde wichtig: Kann man Jesus doch nicht vorwerfen, dass er nur im Winkel gepredigt haette und die Masse des Volkes nicht erreicht worden waere. Jesus erfüllt nicht nur Ps LXX 39 in der Hingabe des Leibes und dem Tun des Willens Gottes, sondern auch: Ps 40,10

„Ich verkündige Gerechtigkeit in der grossen Gemeinde.“

 

Diese Abhandlung ist hier entnommen:

http://www.erlangen-evangelisch.de/johannesevangelium/index.htm