Johannes 11, 1-45 1 (2) 3.17-27 (41-45)
Der groessere Bereich der Lazarusgeschichte
Der
Bereich der Lazarusgeschichte geht von Joh 11,1 bis
12,17-19 (eine Klammer zwischen der Lazarusgeschichte und der
Passionsgeschichte).
Die kürzere
Geschichte aus der Tradition
Die
Lazarusgeschichte, die Johannes aus der Tradition eines Wunderevangeliums
erhalten hatte, war viel kürzer.
Warum die
Geschichte jetzt laenger ist
Sie ist
viel laenger geworden, weil
Johannes neben das Verstaendnis von Leben
als Auferweckung eines Gestorbenen sein Verstaendnis von
Leben als durch den Glauben geschehene neue Geburt von physisch Lebenden in
die Lazarusgeschichte (11,25f) eingebracht hat. Alles, Krankheit und Tod
Bringende hat dadurch nicht nur eine Seite, sondern wird für den Glaubenden zur
Ehre Gottes aufgehoben (11,4) (vgl. die Blindheit von Joh
9,3, die zur Ehre Gottes von dem Kranken genommen wird, der sich zum Sehen und
Glauben führen laesst)
Johannes die Lazarusgeschichte oertlich
verzahnt (11,8f) mit der versuchten Steinigung Jesu in 8,59 und er damit die Souveraenitaet des Weges Jesu betonen kann. Diese Souveraenitaet unterstreicht Johannes mit einem synoptikeraehnlichen Jesuswort (11,9f), das für ihn und für
jeden Glaubenden gilt und in den Zusammenhang mit dem Stein des Anstosses (Jes 8,14/ Jes 28,16) gehoert, dem Stein,
über den die einen straucheln, der für die anderen der koestliche
Eckstein ist
Johannes das von ihm oft benutzte Motiv des Missverstaendnisses von Zuhoerern einbringt (11,12ff): Tod wird von Jesus als
Schlaf verstanden, waehrend die Jünger nur Schlaf als
Schlaf verstehen koennen
Thomas in die Geschichte
eingeführt wird
(11,16), der Jesus nicht verstanden hatte und den Gang Jesu nach Jerusalem
weiter als Jesu Gang zur Steinigung versteht und alle Jünger auffordert, Jesus
fatalistisch in dieses Scheitern zu begleiten
Johannes in Martha dem
Thomas einen Menschen entgegenstellen kann, der glaubt, dass die/der Glaeubige immer lebt, wenn er einmal Jesus als von Gott in
die Welt gesandten Sohn Gottes, Christus, erkannt hat. Für den Evangelisten
wird die Lazarusauferweckung zum Hintergrund für das, was für den lebendigen
Christen im Vordergrund steht: Die Zusage
an die glaubende Martha, deren Auferstehungsgeschichte in Joh
11 eigentlich erzaehlt wird
weil Johannes die Lazarusgeschichte
weiter verzahnt mit der Blindenheilung (11,36f) und er so – was er gern
tut, weil es für ihn typisch ist für die Begegnung von Juden mit Jesus – zwei Gruppen mit verschiedenen Ansichten
über Jesus gegenüberstellen kann (vgl. z.B. die zwei Gruppen in 11,45f):
Menschen, die den mitfühlenden, weinenden Jesus positiv sehen und andere, die
Jesus nur abwertend sehen koennen und ihn bei den
Machthabenden (das sind zur Zeit des Evangelisten Pharisaeer)
anzeigen und den Tod Jesu bewirken wollen. Damit beschreibt der Evangelist
zugleich Erfahrungen seiner Tage, die sich bis zum heutigen Tage wiederholen: informelle Mitarbeiter (von
Staatssicherheitsdiensten) zeigen einen Menschen an, der nicht in die
offizielle Staatspolitik und Religionsauffassung hineinpassen.
Zusammengefasst: Dem
Evangelisten gelingt es, eine ursprünglich selbstaendige
Einheit der Auferweckung des Lazarus (aus einem Wunderevangelium) mit dem
Passionsgeschehen (aus einem „vierten Synoptiker“) zu
verbinden und auch zu verbinden mit Erfahrungen seiner eigenen Gemeinde gegen
Ende des ersten Jahrhunderts.
Es
gelingt ihm aber auch, zwei verschiedene
Auffassungen über Auferstehung und Leben miteinander so zu verbinden, dass
Menschen mit unterschiedlichen Froemmigkeitstypen und
Traditionen nicht kontaktlos nebeneinander oder sogar gegeneinander stehen,
sondern ins Gespraech gebracht werden. Wie schwer
dieses Gespraech bis zum heutigen Tage ist, zeigt
Christian Dietzfelbinger in seinem Johanneskommentar
(I,374f): „Daraus erwaechst
die Freiheit zu der Einsicht, die Blank (Anm. von mir, G. Reim: ein
ausgezeichneter katholischer Ausleger des Johannesevangeliums) so formuliert: Es „ist die Frage nach der ‚Historizitaet’ der Auferweckung des Lazarus klar zu
verneinen“...Man hat mit diesem Thema sorgsam und mit Rücksichtnahme auf
Andersdenkende umzugehen. Man sollte gleichwohl sich vor einer eindeutigen
Antwort nicht davonstehlen.“ (Uebrigens findet man
bei Dietzfelbinger einige Ueberlegungen
zu Joh 11 in der Literatur des 19. und 20. Jhd.)
Zur Predigt: Es werden
eigentlich drei Auferstehungsgeschichten erzaehlt:
die des Lazarus
die der trauernden Martha
die Jesu, für den gilt, dass er
nimmermehr stirbt als der, der den Gott verkündet, in dem das Leben ist und der
es in Jesus und den Glaubenden weitergehen laesst.
Warum
sollte die Predigt nicht einmal grundsaetzlich über verschiedene Froemmigkeitstypen
in der Gemeinde/Kirche sprechen und über ihr Angewiesensein aufeinander?
Der Schwerpunkt
koennte auch auf die
Trauernden in der Gemeinde gelegt werden, die um ihre Trauer bewaeltigen zu koennen, selbst –
und jetzt – auferstehen koennen.
Man koennte auch die Reaktion
der einen und der anderen in der Begegnung mit dem weinenden Jesus (oder
wie er sonst begegnet, z.B. heilend in Joh 5 und 9
oder als der in Gottes Namen Redende in Joh 7f), der
Menschen zu verschiedenen Reaktionen führt, in unsere Zeit ausdeuten.
Schliesslich waere auch das Mitgehen mit dem Thomas von Joh 11 bis zu
seinem Bekenntnis in Joh 20 als mit einem, der
aufersteht, eine gute Moeglichkeit des Umgangs mit
diesem Text.
Diese Abhandlung ist hier entnommen:
http://www.erlangen-evangelisch.de/johannesevangelium/index.htm