Bibelarbeit über Apostelgeschichte 9, 1-19

von Michael Strauch


  1. Versuch einer eigenen Übersetzung aus dem griechischen Grundtext unter Beachtung und Hervorhebung bestimmter Worte


Vers 1:

Aber Saulos immer noch (heftig) atmend1 (schnaupte) mit Drohung2 und Mord gegen die Jünger des Herrn (oder: ....mit Morddrohungen gegen....), sich dem Hohepriester zuwendend (Partizip Aorist).


Einschub:

Interessant ist, dass das Verb des Satzes (Partizip) das atmen/schnauben ist. Normalerweise müßten die Substantive wie die Drohung als Verb dastehen: Paulus drohte ihnen mit Mord. Tatsächlich ist es aber ein Zustand erhitzter und zorniger Erregung, der Atem läßt vermutlich kein Rufen und Schreien zu. Saulus wird schwer keuchend leise und damit umso drohender den Christen die völlige Ausrottung angesagt haben. Er empfindet sich als einen personifizierten Gerichtsengel. Darum plädiere ich für folgende Übersetzung:


„Aber Saulos ging ganz in Morddrohungen auf...“3


Danach folgt ganz knapp, fast nicht passend zum Gemütszustand, ein sich abwenden von der Stätte des Mordes, des Verbrechens und ein Hinsichhinwenden zu den Hohepriestern. In diesem „ab-und hinwenden“ steckt Inhalt: Paulus beherrscht das Feuer seines „heiligen“ Zorns, er will dieses Gefäß des Gerichts nicht billig auf die Erde schütten, will es kontrolliert in Bahnen lenken. Saulos hat einen „mörderischen Plan“.


Vers 2:


erbittend von ihm (vermutlich Kajaphas) Briefe an die Synagogen in Damaskus4, damit, wenn er solche aufspürte, die der neuen Lehre anhingen (wörtlich: den Weg gehend, den Weg mit Christus, seiner Lehre angehören, seiner Lehre folgen), Männer und Frauen gleichermaßen, gefesselt nach Jerusalem abführe (auch „zerrte“).


Einschub:

Die Hohenpriester scheinen kein gesteigertes Interesse zu haben, den christlichen Flüchtlingen nachzulaufen. Anders Saulos. Er ist bereit, ca. 8-10 Tage sich auf den Weg ins nordöstliche Nachbarland zu machen. Dort vermutet sein scharfer Verstand ein großes, christliches „Nest“ der Verschwörer. Er fühlt, denkt, handelt wie später im Mittelalter ein Großinquisitor oder ein fanatischer Kreuzritter. Für persönliche Gefühle ist hier kein Platz. Frauen wie Männer sind beidermaßen gefährlich, so wie ein schreckliche Krankheit kein Geschlecht kennt. Saulos beweist schon hier, wenn auch antichristlich, sein strategisches Können, seine Vorliebe für Städte als Umschlagplatz neuer Lehren und seine körperliche, fast asketische Fitness, weite Strecken hinter sich zu legen, um verbissen ein Ziel zu verfolgen.

Vers 3:


Aber während er dorthin reiste5, kurz vor Damaskus passierte es, dass ein Licht vom Himmel ihn umblitzte6.


Einschub:

Was hier geschieht, ist ebenfalls geradezu „schwanger“ von alttestamentlichen und neutestamentlichen Bezügen. In Lk 10,18 z.B. sagt der Herr, dass der Satan wie ein „Blitz“ vom Himmel gefallen ist. Gemeint ist, dass Satan durch die grelle Lichtkraft Gottes mit „Lichtgeschwindigkeit“ entmachtet, niedergeworfen, niedergedrückt und verbannt wurde. In Mt 28,3+4 tritt nach der Auferstehung des Herrn ein Engel auf. Bezeichnend seine Wirkung: „Seine Gestalt war wie der Blitz...Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot!“ An anderer Stelle sagt der Herr, dass er bei seinem zweiten Wiederkommen so erscheinen wird wie ein Blitz, der vom Osten ausgeht und bis zum Westen leuchtet!

Jesus erscheint also hier als der auferstandene, als Böse besiegte Herr! Seine Parusie ist Andeutung an sein Gericht. Der Blitz wird von allen gesehen, Paulus scheint in dem grellen Schein und Glanz völlig eingenommen zu sein. Wo Saulos zuvor völlig und ganz erfüllt, beherrscht und übermannt wurde von seinem Zorn, so übermannt ihn nun Christus, der richtende Herr. Der Herr, der sich gleich der Feuersäule zwischen dem Heer Ägyptens und Israels stellte und der „eine feurige Mauer“ für seine Gemeinde sein will, dieser stellt sich zwischen Freund und Feind. Doch den Feind tötet er nicht. Er steht nicht auf gleicher Stufe mit Saulos. Er schnaubt nicht Morddrohungen.


Vers 4:


und (er) stürzend auf die Erde, hörte7(vernahm) eine Stimme, sprechend zu ihm: Saul, Saul8, warum verfolgst du mich?


Einschub: Paulus stürzt zu Boden. Es ist, als müßte der Herr ihm in rasender Fahrt in den Weg sich stellen. Saulus ist so voller Hass und Verblendung, dass nur eine weitere Blendung ihn sehen läßt. Der Herr muss den Rasenden geradezu niederzwingen und mit mächtiger Stimme sprechen, sonst ist ihm nicht beizukommen. Zweimal ruft Jesus seinen Namen. Mit Nachdruck den hebräischen Namen, und nicht eine gräzisierte Form. Mit Nachdruck macht der Herr deutlich, dass er der Sohn des Allmächtigen alten und neuen Testamentes ist. Saulus ist kurz vor Damaskus. Vermutlich haben sie sich mit griechisch verständigt als die damalige Weltsprache. Hier aber spricht ihn ein Wesen an in der heiligen Sprache des AT. Zweimal ruft der Herr. Und das erste, was der Herr dann sagt, läßt Saulus verstummen. Ausgerechnet eine Frage! Eine Frage mit doppeltem Sinn, wie sie in der hebräischen Theologie gerne angewandt wurde. Im Orient erläutert man nicht jeden Sachverhalt, sondern man stellt – stellenweise auch rhetorisch – gerne Fragen. Siehe die vielen Gespräche Jesu mit dem Pharisäern. Jesus passt sich Paulus ganz an:


  1. Er spricht ihn an mit seinem hebräischen Namen. Saul heißt: „von Gott erbeten“ oder „von Gott zum Dienst erbeten“. In dem Namen steckt aber auch die Erinnerung an König Saul aus dem Stamm Benjamin, der König, der ein Kopf größer war als das übrige Volk und immer meinte, er wüßte alles besser. Und wie sehr ist er gestürzt, ebenfalls zur Erde, rückwärts, als er bei der Hexe von Endor war. Saulus stammt ebenfalls vom Stamm Benjamin ab. Vielleicht sogar von jenem König. Auch er ist – geistlich gesehen – einen Kopf größer als seine Mittheologen. Er überragt sie alle an Eifer und Einsatz. Doch auch muss zu Boden stürzen. Der Herr redet.

  2. Weiter stellt der Herr ihm eine Frage. Er geht auf sein theologisches Denken ein. Ein Rätselwort. Saulus ist verwirrt. Er wollte Gott dienen und das hieß für ihn, die Christen zu vernichten. Nun hört er, wie der Mächtige, der mit ihm spricht, sich nicht allein vor die Christen stellt, ja er scheint eins zu sein mit ihnen. Er stellt sich Saulus in den Weg, unerbittlich und macht deutlich: die Christen sind Teile seines Leibes. Wer sie verfolgt, verfolgt ihn, und damit Gott. Für einen überaus frommen und eifernden Juden ist der Gedanke, Gott praktisch zu bekriegen auf`s tiefste lästerlich und unerträglich. Saulus muss sprichwörtlich am Boden zerstört gewesen sein.


Vers 5:


Er sprach aber: Wer bist Du, Kyrie (göttlicher Herr)? Er aber: Ich9, ich bin Jesus, den du verfolgst!


Einschub:

Saulus faßt sich. Ihm dreht sich alles. Alles zerbricht. Alles fällt. All sein Wissen scheint vom Blitz verbrannt. Wie nach einer Amnäsie fragt dieser große Theologe ganz neu, ganz von Anfang an, wie ein Kind: Wer bist du, Herr? Die Antwort ist für Saulus ein blendender Schein, ein tiefer, tiefer Fall, ein nicht zu beschreibender Moment im geistig-psychisch luftleeren Raum. Dieser Moment ist ein schrecklicher, aber zugleich auch zutiefst heilsamer Moment. Ein Zustand, wo all das fromme Gepräge abfällt und man nackt und bloss vor Gott steht und wie ein Kind wieder ganz neu fragt: Wer bist du, Herr? Oft geschieht in leidvollen Situationen, wo der Mensch alles genommen bekommt, was unecht war und falsch. Wo das wirkliche Fundament des Glaubens hält oder gar zerbricht. Aber selbst wenn alles zerbricht und nichts übrigbleibt, so darf ich dann, wenn auch ganz tief unten, fragen: Wer bist du, Herr? Und der Herr wird sagen: Ich, ich bin Jesus! Und das genügt. Wir werden feststellen, dass dieser kostbare Name auf alles Antwort gibt.

Für Saulus ein zweifacher Schock. Jesus, er ist Gottes Sohn. Er ist der Messias. Er ist, der sein wird. Und diesen Jesus, diesen Messias, den er inbrünstig ersehnte, den hat er verkannt und verfolgt. Wie war das möglich? Wie ist es möglich, dass man Gott dienen will und doch sich selber dient? Wie es möglich, dass man so nah und doch so weit entfernt sein kann? Achten wir darauf, dass der Herr nichts erklärt, nichts in dieser Richtung tadelt. Es ist ein Geheimnis. Vielleicht war es eine Decke, die Saulus auf dem Herzen trug, damit er umso größer die Sonne erkannte. Wir müssen hier nicht fragen: Saulus, wie war das möglich? Saulus, wie konntest du nur? Wer bist du, Saulus, das du meinst...! Vielmehr wollen wir fragen: Wer bist du, Herr? Denn der Herr bleibt uns immer ein Stück verborgen. Wir begreifen nicht einmal den winzigsten Bruchteil dessen, was Leben ist und suchen den Sitz der Liebe in chemischen Prozessen. Beides umgibt uns reichhaltig, wir können immer nur staundend fragen und erhalten den omnipotenten Namen: Jesus. Der Kyrios.


Vers 6:


Stehe10 aber auf und gehe in die Stadt, dor t wird man dir sagen, was du tun sollst!


Einschub:

Paulus ist „wie tot!“ In ihm ist weder Saft noch Kraft. Alles, was ihm zutiefst lieb und teuer war, liegt in Scherben. Er sieht physisch und geistlich nichts mehr. Wie ein Mann, der einen schweren Motorradunfall hinter sich hat und der wochenlang ans Bett gefesselt war, muss Saulos lernen, wieder zu gehen, wieder Menschen zu begegnen. Es ist, als sei seine Lebenstafel völlig ausradiert. Es ist eine Art „Auferstehen“ aus einem langen, irrigen Wahn. Jesus hat ihn zu Boden gezwungen, Jesus streckt ihm die Hand entgegen. Sein Wort ist voller Macht und Kraft. Ein kurzer Befehl: Steh auf und geh! Wie er es seinerzeit mit den Gelähmten tat: Steh auf und wandle.

Saulos soll aber nicht umkehren. Sondern dass er in Damaskus Fluch und Schaden anrichten wollte, lag schon in Gottes Plan. Saulos geht als stolzer Mann von Jerusalem los, meinend, in allem den Durchblick zu haben, fest entschlossen, aller Welt zu zeigen, was der „rechte Weg“ ist. Er war willens, die Falschgläubigen auf den rechten Weg, nach Jerusalem mit Gewalt zu zerren und was sich widersetzt, zu vernichten. Und er durchquert die Stadt Damaskus als Blinder, als gebrochener Mann, der weder den Weg weisen noch den Weg selber gehen kann. Er wollte führen und zerren und muss geführt werden. Er wollte lehren und braucht nun selbst Lehre in den einfachsten Handhabungen. Jesus schlug dem stolzen Saulos alles aus der Hand und beginnt, aus ihm einen „Kleinen“, einen Paulus zu machen. Der wiederum hat einen großen Gott!


Vers 7+8:

Die Manner aber, die ihn (auf seiner Reise) begleitet hatten, standen sprachlos da, hatten sie (doch) tatsächlich eine Stimme gehört, niemand aber hat (etwas) gesehen11. Saulos aber erhob sich von der Erde, und er öffnete seine Augen, nichts konnte er sehen. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus.


Saulos kann nur diese eine Frage stellen: Wer bist du, Herr? Dann ist es nur der Herr, der spricht. Auch seine Begleiter hat es – sprichwörtlich – die Sprache verschlagen. Sie haben den Blitz nicht gesehen. Saulos sieht und hört und spricht. Später wird er erzählen, dass es Christus selber war, den Paulus sah. Und damit wiederholt sich die eigenartige Parallele zu Stephanus, der ebenfalls den Herrn zur Rechten des Vaters sah. Ich vermute, dass nur Stephanus ihn sah. In gleicherweise sieht ihn Paulus nun, nur diesmal ebenfalls am Boden wie jener, der von seinen Leuten gesteinigt wurde.

Der Rest wird in diese Epiphanie nicht mit eingeschlossen. Es ist wie bei der Taufe Jesu. Die Menge hört einen Blitz oder einen Donner, Johannes sieht und hört mehr.

Die Begleiter sind sprachlos. Das Wort „sehen“, in seiner Grundbedeutung ein „schaulustiges“ Sehen, bleibt ihnen verwehrt. Jesus macht sich nicht zum Objekt des Gaffens. Nur Paulus soll und darf ihn sehen wie einst Mose. Es gehört zu Gottes Plan. Und in Paulus führt das Sehen zu keiner Euphorie, sondern zu einer tiefen Reise in sein Inneres.

Achten wir darauf, wie atemlos die Worte gewählt sind: Erhebt sich von der Erde, öffnet die Augen – und dann: blind! Hier das griechische Wort für das optische „Sehen“. Er war verblendet und konnte physisch sehen. Nun ist er geblendet und kann weder noch. Er muss wie ein alter Mann an der Hand genommen werden. Er braucht Hilfe, um den Willen Jesu auszuführen. Seine Begleiter, seine Mordhelfer, werden vom Herrn umgewandelt in Krankenpfleger und Diakone. Aus der stolzen Truppe energischer Inquisitatoren ist ein armseliger Trupp geworden. So will es der Herr.


Vers 9:


Und es waren drei Tage, wo er nichts sehen konnte, und nichts ass er und nichts trank er.


Einschub:

Saulos ist in der Wüste. Wie einst der Herr. Er sieht nichts, damit er das Auge nach innen richten kann. Er ist blind, er kann noch nicht einmal die Schriftrollen lesen, die er solange so tief missverstand. Drei Tage – wie die drei Tage des Herrn zwischen Kreuz und Auferstehung, schwebt Saulos in einem Dämmerzustand zwischen Nacht und Tag. In diesem Zustand ist er weder lebendig noch tot. Essen und Trinken sind für ihn bedeutungslos. Vielleicht fastet er bewußt. Er sucht, er geht dieser Frage nach. Wer bist Du, Kyrios? Ich bin Jesus, den du verfolgst.


Vers 10:


Es war aber ein Jünger in Damaskus namens Ananias12, zu diesem sprach in einem Vision13 der Herr: Ananias! Er aber sprach: Siehe, ich (ich), Kyrie14.


Einschub:

Das „Sehen“ gipfelt hier. Das griechische Wort läßt schließen, dass Ananias den Herrn sieht. Wie, in welcher Gestalt, in Bild und/oder Person, bleibt offen. Er sieht, so wie Paulus den Herrn sah. Doch wo Paulus durch diese Schau – wie vom Blitz getroffen – erblindete, bleibt Ananias unversehrt. Wie einst Samuel ruft ihn der Herr. Stück um Stück führt der Herr den Paulus weiter. Er läßt ihm Zeit, denn er braucht Zeit. In dem Idou – siehe - , dass Ananias spricht, wird deutlich: handle du, Herr. Der deine Augen das Wirkliche sehen können. Und so führt der Herr einen Mann, der meinte, sehen zu können und nun blind ist einem Mann gegenüber, der wirklich sehen kann. Ein Mann, der meinte, den rechten Weg erzwingen zu müssen begegnet einem Mann, der auf den Weg gesandt wird, um diesem den Weg zu zeigen. Bindeglied zwischen Saulos und Ananias aber ist der gnädige Herr.


Vers 11+12:


Aber der Herr zu ihm gewandt: erhebe dich, gehe zu der Straße, die „die Gerade“ genannt wird und suche im Haus des Judas einen namens Saulos aus Tarsos, denn siehe, er betet und hat in einer Vision einen Mann erblickt15namens Ananias, der (zu ihm) eintrat und ihm seine Hände auferlegte, sodass er wieder sehen konnte.



Einschub:

Die Handlungsparallelen sind verblüffend. Wie Saulos sich von der Erde (vom Staub) erhob und nichts mehr hatte als nur das Wort dieses Kyrios: dort wird man dir sagen, was du tun sollst, so erhebt sich Ananias und macht sich auf den Weg. Saulos, der Herr gebraucht hier nicht Saoul, sondern Saulos, ist – vermutlich – in einer Herberge. Ananias soll diesen Mann suchen. Einen Mann aus Tarsos mit Namen Saulos. Er wird in finden einer bezeichnenden Straße: „die Gerade“. Tatsächlich hat dieser Saulos gemeint, zu wissen, was gerade und verbogen ist. Nun wurde er gebogen und gebeugt und gerade dadurch kann der Herr mit ihm den geraden Weg beginnen. Alles ist voller Symbolik, voller Wunder und wohl dem, der Augen hat, es zu sehen. Der Herr schließt bald mit dem Wort, dass zuvor Ananias gebrauchte: Idou – siehe – er betet.

Saulos hat nichts mehr, aber ihm bleibt das Gebet. Das Gebet vielleicht in seinem Zustand zum „unbekannten Gott!“ Wie er später auf der Agora in Athen den Menschen den Gott verkündigen wird, die sie unwissend verehrten, so muss Saulos selbst ganz neu suchen. Die Frage steckt tief: Wer bist du, Kyrie? Hier gilt das Sprichwort: Not lehrt Beten.

Im Gebet sieht er mit dem inneren Auge. Bevor das physische Sehen beginnt, gebiert das geistliche. Er empfängt eine Vision, vielleicht zeitgleich mit der des Ananias. Ananias sieht den Herrn, Saulos sieht Ananias. Bewußt betont Lukas die Hände des Ananias. Die Hände, die Saulos in Ketten legen wollte, werden sprichwörtlich zum Bindeglied zwischen dem Herrn, seinem Jünger und Saulos. Jesus will, dass die Hände des Ananias Saulos segnen. Jesus will, dass durch die zarte Berührung Saulos begreift. Jesus will, dass Ananias sich auf den Weg macht zu dem Verzweifelten und ihn berührt.


Vers 13+14:

Es antwortete aber Ananias: Kyrie (Herr), ich habe vieles über diesen Mann gehört, alles, was er an Bösem deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat. Und hier hat er Vollmacht von den Hohepriestern, alle, die deinen Namen bekennen, festzunehmen (zu verhaften).


Einschub:

Ananias zögert. Auch er ist nicht vollkommen. Er fürchtet sich vor diesem Saulos. Sein Name ist der Inbegriff des Schreckens. Vielleicht ist Ananias gerade vor diesem geflohen. Er fragt nicht kindlich: Herr, wer bist du? In seiner Angst beginnt er, den Herrn über Details zu belehren, die der Herr doch bestens kennt und weiß. Ob Ananias Zweifel hat an der Macht Gottes? Ob es ihm zu denken gab, warum der vielleicht für ihn sinnlose Tod des unschuldigen Stephanus hat geschehen müssen? Damals hat der Herr den Mord nicht verhindert, warum soll ihn diesmal verhindern. Ananias ist unfrei. Fürchet sich. Er soll seinen Feind segnen und fürchet sich. Ihm fallen tausend Gründe ein, warum er nicht zu diesem Saulos gehen soll. So wie uns, dir und mir, tausend Gründe einfallen, warum wir das nicht tun, von dem der Herr uns doch Klarheit geschenkt hat.


Vers 15+16


Es sprach aber zu ihm der Herr: Geh nur hin, denn gerade ihn habe ich als Werkzeug mir erwählt, damit er trage meinen Namen zu den nichtjüdischen Völkern und vor Könige und zu den Söhnen Israels. Denn ich, ich werde ihm zeigen, wieviel er um meines Namens willen zu leiden hat.


Einschub:

Es ist die Art des Herrn, sich auf den besondes Verzogenen zu konzentrieren und an ihm sein Herrklichkeit zu erweisen. Der Herr sucht sich widerspenstiges und stolzes Werkzeug heraus, damit er es veredeln kann und sein Name gepriesen werde. Und das Feuer, in dem dieses Werkzeug veredelt wird, ist das Leid. Nicht das Leid von Krankheit und Tod, sondern das Leid, das ihm auf seinen Missionsreisen ereilt, wenn er ständig konfrontiert wird mit jenen, die er zuvor verkörperte. Wie er mit glühendem Fanatismus andere zwang, zu flüchten, so werden ihm Fanatiker in den Weg gestellt, die ihn zur Flucht treiben. Er wird mit Irrlehrern zu kämpfen haben, nun selbst im Gefängnis sitzen müssen und selbst Stricke und Eisen an den Gelenken spüren. Er wird ein Verfolgter sein, nicht mehr ein Verfolger. Aber er ist zugleich ein Nachfolger Jesu geworden. Weil er eine Antwort gefunden hat auf seine drängenste Frage: Wer bist, Kyrie? Kann er all das ertragen. Und das sogar mit täglicher Freude und Dankbarkeit.


Vers 17:


Es ging weg Ananias und betrat das Haus und legte seine Hände auf ihn, sprechend: Saul16, Bruder, der Kyrios hat mich geschickt, der dir auf dem Weg erschien, den du kamst, damit Du wieder sehen kannst und erfüllt wirst mit dem Heiligen Geist.


Einschub:

Ananias geht los. Gehorcht. Betritt das Haus. Findet Saulos. Spricht ihn auf hebräisch an und schlägt als erstes die Brücke von Jude zu Jude. Jene Brücke, die auch der Herr schuf. Ananias nennt Saoul beim Namen. Beide sind Juden. Beide beten denselben Gott und Herrn an. Den Gott der Väter. Weiter nennt ihn Ananias „Bruder“. Bruder als Jude, nun aber mehr: Bruder in Christus. Bruder durch und in dem Kyrie, dem Herrn, der dem Paulus auf „dem Weg“ begegnete.

Ananias legt ihm die Hände auf und der Herr will ihm dadurch die „Binde von der Wunde nehmen“. Denn Paulus war verblendet und mußte erneut geblendet werden, damit er wirklich sehen kann. Beides geschieht hier: ein „wieder sehen können“ und zugleich ein geistliches Erfassen und Begreifen. Saulos wird Christ, Ananias sein erster, christlicher Bruder. Wieder erinnert es an König Saul, als dieser unter die Propheten kam und – ob er wollte oder nicht – in Verzückung geriet und vom Heilign Geist erfüllt wurde. Es war der selige Beginn seiner Herrschaft. So empfängt auch Saulos den Heiligen Geist. Glaube ist in ihm gereift. Er fasst die Antwort: Jesus ist der Messias, der Sohn Gottes.


Vers 18:

Und sofort fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er konnte wieder sehen, erhob sich und ließ sich taufen.


Einschub:


Saul, besser Paulus, kann sehen. Wieder sehen. Es fiel ihm „wie Schuppen von den Augen“. Er rieselte und schneite „Erkenntnis“. Plötzlich sah er klar und deutlich, was ihm bisher verborgen war und er konnte es vielleicht gar nicht fassen, warum ihm bisher diese Sicht versperrt war. Paulus konnte sehen. Wieder sehen und gerade sehen. Und was er sah, ließ ihn nicht aufhalten. Er wußte, was zu tun war: Aufstehen und sich taufen lassen. Ohne Umschweife, ohne große Bedenken und Diskussionen. Klar stand es ihm vor Augen. Diese theologische Klarheit sollte sein Markenzeichen werden. Mit der Taufe besiegelt er das alte Leben komplett. Etwas Neues begann.


Vers 19a:


Und er nahm zu sich Nahrung, die ihn zu Kräften kommen ließ.

1Empneon (Partizip). Das steckt das im deutschen bekannte Wort Pneu drin, was „Luft“ heißt. Gemeint ist wohl ein Zustand äußerster Erregung, gemischt mit kaum zu bremsender Beherrschung. Bei großem Zorn geht der Atem schneller, der Puls schnellt in die Höhe, das Herz schlägt wie wild. Paulus ist, was man im deutschen so schön sagt „außer sich“. In einem Roman würde es vermutlich heißten: Er kochte vor Wut, er keuchte vor innerer Erregung. Und das angesichts eines Menschen, der zu Tode gesteinigt wurde, diakonisch tätig war und niemandem ein Leid antat.

2Wir kennen das Drohen schon von Apg 4,27, wo die Pharisäer und Schriftgelehrten gegen die Apostel.

3Siehe Kohlhammer: Exegetisches Wörterbuch zum NT, 2.Auflage 1992 Bd.1 S.286 Stichwort Apeilä (2.Spalte).

4Gemeint sind Empfehlungsschreiben. Die Römer ließen in einigen juristischen Fällen es zu, dass die Juden ihre Streitfragen unter sich klärten. Paulus braucht also eine authorisierte Generalvollmacht, heute würde man sagen, von der Kurie, um seinen Plan zu verwirklichen. Warum Damaskus? Seit 64 v.Chr.war Damaskus der römischen Provinz Syrien eingegliedert. Es lag über 240 km von Jerusalem entfernt und war bedeutend. Dort gab es viele jüdische Synagogen und Proselyten. Paulus vermutete, dass viele Christen über die Grenze ins „Ausland“ geflüchtet sind, um dort in einer unter römischer Oberhoheit stehender kulturellen Stadt unterzutauchen. Paulus braucht die jüdischen Verbündeten, um die „Rebellen“ aufzuspüren.

5Paulus ist tagelang unterwegs. Und auf dem Hinweg geschieht die Epiphanie. Der alttestamentliche Bezug scheint klar: 4Mose 22,22:“Aber der Zorn Gottes entbrannte darüber, dass er hinzog. Und der Engel des Herrn trat in den Weg, um ihm zu widerstehen....“ Siehe die Verse 22-35.

6Astrapta meint eigentlich den gleißenden Blitz! Periapstrapto meint nun, dass ein Blitz herniederfuhr und Saulos von diesem Blitz geradezu umzingelt war.

7Akouo meint das akustische Hören mit dem Ohr, meint aber auch ein „erfahren“

8Interessant: in der Erzählung steht im Grundtext „Saulos“. Jesus spricht ihn aber mit „saoul“ an, das wäre hebräisch mit griechischen Buchstaben.

9Im griechischen steckt das Personalpronomen wie z.B. „ich“ meist schon im Verb drin. Das heißt in der Verbform kann man auch die Person erkennen. Es gibt im griechischen aber auch das explizite „ich“, was wir im deutschen auch kennen unter „ego“. Wenn also zweimal „ich“ steht, dann wird das Ich majestätisch betont. Alle Ich-bin-Worte Jesu sind so aufgebaut.

10Anisthätei – aufstehen, ähnliches Wort wird auch bei der Auferstehung gebraucht. Oder wenn ein Kranker genesen aufsteht

11Für das optische „sehen“ gibt es im griechischen viele Ausdrücke. Hier steht „teorountes“ und wird gebraucht, wenn Zuschauer ein Schauspiel sehen.

12Ananias: der Herr ist gnädig.

13Bei den Begleitrn des Paulus hatten wir das Wort teorountes, was das schaulustige Betrachten meint. Bei Paulus dann das optische, normale Sehen (griech. Blepo) und nun bei Ananias das dritte griechische Wort: orao. Das Wort „orao“ meint ebenfalls das optische Sehen, aber es wird im NT oft gebraucht, wenn etwas außergewöhnliches gesichtet wird. Selten gebraucht man dieses Wort beim Sehen lapidarer Dinge, immer ist das Sehen von Menschen, eines Gesichtes, hier einer inneren geistlichen Schau.

14Idou (siehe) wird immer dann gebraucht, wenn ein göttlicher Handlungsstrahl in die Geschicke von Menschen fällt. Ananias gebraucht das „ego“, nicht ego eimi, nur ego. Siehe, ich!Herr!

15Eiden – steht in Verbindung mit orao. Gemeint ist das Sehen, das Wahrnehmen einer Person.

16Hier spricht Ananias den Namen Saulos wieder hebr.aus: Saoul!