Bibelarbeit über
Apostelgeschichte 6
von Michael Strauch
home |
1. Transparenter Blick in
den Gemeindealltag (V.1-6)
2. Von Gott gesegnet, vom
Menschen verflucht: Stephanus (V.8-15)
zu 1. Transparenter
Blick in den Gemeindealltag (V.1-6)
1. Exegese:
1.1. Engerer und weiterer
Kontext
·
Es
herrscht Erweckungsstimmung. Viele Menschen kamen zum Glauben an Jesus
·
Doch
in der äußerlich so erfreulichen Entwicklung kommt es zu ungewollten,
organisatorischen Engpässen: die hebr. Witwen werden bei der Versorgung betreut,
die griechischen (vermutlich aus dem Heidentum sich bekehrten Christinnen
werden übersehen.
·
Es
wird eine Gemeindeversammlung einberufen, wo das Problem erörtert wird.
·
Das
Leitungsteam (die 12 Apostel) halten eine schlichtende Rede an die Versammlung,
wie folgt:
Situationsanalyse und
Berichtigung
Die Apostel spielen den
Ball zurück. Auf beiden Seiten sind Fehler begangen worden. Aber die Apostel
betonen: Es ist nicht recht, dass die Apostel neben ihrem Dienst an der
Verkündigung auch das Element der Diakonie mitübernehmen.
Vorschlag
Sieben Männer sollen
ausgesucht werden, die einen tiefen und bewährten Glauben haben. Die Gemeinde
soll aus ihrer Mitte solche Personen berufen. Ihre Einsetzung und Einsegung
geschieht durch das Leitungsteam der Gemeinde.
Transparenz und Präsenz
Als verantwortliches
Apostelteam widmen sie sich dem Gebet und dem Dienst am Wort. Die
Gemeinde geht auf diesen Vorschlag ein. Sie sucht 7 Diakone und stellen diese
den Aposteln vor. Diese wiederum legen ihnen die Hände auf (Ordination), und
segnen sie ein in ein neues Amt. Die Vorgehensweise hat Erfolg. Das Wort Gottes
breitet sich aus, die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem und viele
Priester wurden dem Glauben an Christus gehorsam.
Zu Vers 1: Die Parteien
·
Lukas
zeichnet keine Idylle urchristlicher Gemeinschaft, sondern die Wirklichkeit.
·
Die
Freude über den ungeheuren Gemeindezuwachs wurde organisatorisch auch bald zum
Problem. Wie versorgt man Tausende von Menschen?
·
Wir
werden ans AT erinnert, wo das Volk Israel in der Wüste murrte wegen fehlendem
Essen. Auch in der Urgemeinde kommt es bei Versorgungsengpässen schnell zum
Gemecker.
·
Es
bilden sich dazu zwei Parteien: Hellenisten und Juden.
·
Es
ist gut möglich, dass die jüdischen Christen, also diejenigen, die in Israel
geboren sind, mit Verachtung auf die hellenistisch geprägten Juden schauten.
Und es gut denkbar, dass die hellenistisch geprägten Juden scheel auf die
hebräischen "Barbaren" sc hauten.
·
Die
erste Gemeinde war also ein explosiver Cocktail aus eher eng-fromm denkenden
Menschen und weltoffenen Christen.
·
Das
Problem entzündet sich an der Diakonie
Das Problem:
Das griech. Wort diakonia
bezeichnet ursprünglich genau das Wort für "Essen überbringen". Es
ist gut möglich, dass die Verachtung gegenüber dem Hellenismus durch das
Fehlschlagen der Essensausgabe durch die Hebräer ein Auslöser war. Die
schlagfertigen Hell enisten suchen den offenen Weg: sie berichten es der
Gemeindeführung.
Zu Vers 2: Die
Beschwerde vor den Zwölfen
·
Zuerst
werden die Rollen neu definiert und damit wird für Transparenz gesorgt.
Die primäre Aufgabe des Leitungsteam ist die Verkündigung und Unterweisung
durch das Wort Gottes und das Gebet.
·
Ein
neu gebildetes diakonisches Team kümmert sich die praktischen Dinge im
Gemeindealltag.
·
Die
Situation, nachdem die Gemeindeleitung mehr oder weniger in allem präsent ist
und überall mitmischt, ist uneffektiv und entspricht nicht dem Vorbild der
ersten Gemeinde.
Vers 3: Die Wahl der
Diakone
Zitat von H.W.Neudorfer:
Die Apostel folgen
bei der Einsetzung der Armenpfleger nicht einem erbetenen göttlichen Zeichen
(vgl. Die Zuwahl des Matthias), sondern ihrem Verstand, der freilich in die
personale Beziehugn zu Gott eingebunden ist.
Kriterien der Wahl:
·
Nicht
die Begabung steht im Vordergrund, sondern ob das Herz ganz bei Jesus ist.
·
Ein
guter Leumund. Diakone stehen massiv in der Öffentlichkeit.
·
Weisheit
- damit jeder gleich behandelt wird.
Zu Vers 4: Das Amt der
Apostel
Zitat von W.Neudorfer: "Die
Selbsteinschränkung der Apostel bedeutet nicht Rückzug, sondern Konzentration auf
ihre ureigenste Aufgabe. Sie verstehen sich nicht als Universalbeamte mit
Kompetenzen in allen Zweigen der Gemeindearbeit, sondern als geistliche
Gemeindeleiter, deren Amt die Fürbitte und überhaupt das gottesdienstliche
Gebet und die öffentliche Wortverkündigung ist."
Zu den Versen 5-6:
Die Diakone besitzen
ausschließlich griechische Namen! Das läßt den Schluss zu, dass die
hellenistische Fraktion diese Männer ausgesucht und/oder in diesem Bereich die
Gesuchten nur gefunden wurden. Es könnte auch sein, dass die Gemeinde bewußt
diese Leute nahm, um den hellenistisch geprägten Christen liebevoll
entgegenzukommen.
Übrigens: Es kann gut sein,
dass der erwähnte Nikolaus in späteren Jahren eine ungute Entwicklung nahm,
nämlich als Begründer einer Sekte mit dem Titel "die Nikolaiten". Wir
kennen sie aus der Offenbarung, dem Sendschreiben an Pergamon. Nikolaus wäre
demna ch an der ethischen Frage der Sexualität gescheitert. Er lehrte eine Art
Doppelmoral, nachdem der Christ einen inneren, neuen und sündlosen Menschen
hat. Äußerlich ist nur das Fleisch, dessen Befleckung dem inneren Menschen
nichts mehr anhaben kann. Das ga b gerade bei hellenistisch geprägten Menschen
natürlich einen Freibrief für sexuelle Zügellosigkeit. Auch war Nikolaus ein
"Judengenosse", also ein Proselyt, ein Heide, der zum Judentum
konvertiert, später zum Christentum sich bekehrt hat.
Nachtrag zu den
Hellenisten:
Die Hellenisten sind Juden,
die aus dem Westen nach Israel wieder zurückgekehrt waren. Durch die
Verschiedenheit der Muttersprache entstand eine gewisse Trennung. Somit war
z.B. eine Witwe ohne Möglichkeit, sich fianzielle Mittel zu erwerben. Sie war
ohne Hilfe der Gemeinde hilflos. Ist es denkbar, dass die Witwen aufgrund ihrer
Sprachprobleme sich zurückgezogen haben und deswegen "übersehen"
wurden?
Hinzu kommt, dass in den
Versammlungen vermutlich aramäisch gesprochen wurde. Bei einer wachsenden
Gemeinde, Sprachbarrieren etc.kann es leicht passieren, dass sich die Witwen
zurückzogen.
Nachtrag zum Dienst der Apostel:
Ich möchte es nicht lassen,
nochmal darauf hinzuweisen, dass es Aufgabe des Predigers ist, am Wort Gottes
zu dienen und das Gebet ernst zu nehmen. Durch die ganze Geschichte der Bibel
finden wir die "Vollamtlichen" im Gebet. Und dort - wie z.B. bei
Moses - wo organisatorische Elemente die Überhand gewinnen, leidet der
eigentliche Auftrag. Die Apostel haben in diesem Sinne nicht die Gemeinde
geleitet im Sinne einer diktatorischen Führung, sondern sie haben sich auf
Aufgaben konzentriert.
Zu 2: Von Gott gesegnet, vom Menschen verflucht: Stephanus (V.8-15)
2.1. Zu den Personen:
·
Stephanus: "ein Mann voll Glaubens und heiligen Geistes"
(V.5), in der Liste der Diakone als erster erwähnt. In Vers 8: voll Gnade, voll
Kraft, tut Zeichen und Wunder unterm Volk.
·
Synagoge der Libertiner: lat. Freigelassene. Juden aus der Zerstreuung,
die in Jerusalem sich eine eigene Synagoge bauten. Sie waren wahrscheinlich
Nachfahren von jüdischen Kriegsgefangenen aus Rom (unter Pompejus 63 v.Chr). In
der Synagoge lasen sie das A T in der griechischen Fassung (Septuaginta). Es
waren also wie Stephanus hellenistisch geprägte Juden, die ihm widerstanden.
·
Kyrenäer:
Kyrene war eine Stadt nahe am Mittelmeer, an der Küste Libyens. Hinzu war sie
Hauptstadt der römischen Provinz Cyrenaica. Die dortige Bevölkerung bestand zu
25 Prozent aus Juden. Auch sie besaßen wie die Libertiner ihre eigene Synagoge
in Jerusal em. Wir haben sie bei der Pfingstpredigt des Petrus schon
kennengelernt (Apg 2,10).
·
Zilizien war
eine römische Provinz im SO Kleinasiens. Hauptstadt ist Tarsus, wo der spätere
Apostel Paulus herkommt. Auch dort gab es offenbar jüdische Siedlungen, später
christliche Gemeinden.
·
Schriftgelehrte,
Älteste und Hoher Rat - siehe meine Auslegung zu Kapitel 4
Vers 8: Ein Mann mit
Vollmacht
Stephanus fällt schon früh
auf. Gott vollbringt durch ihn "Wunder und Zeichen" im Volk, wie wir
es bisher nur von den Aposteln gehört haben (Kap 5,12). Ob die Wunder und
Zeichen in Verbindung zu bringen sind mit der Handauflegung durch die Apostel?
Wir wer den an den greisen Apostel Paulus erinnert, der zu seinem Schüler
Timotheus spricht: "...dass du erweckest die Gabe Gottes, die in dir ist
durch die Auflegung meiner Hände...!" (2Tim 1,6). Auf jeden Fall
beschränken sich die Wunder und Zeichen, die der Hei lige Geist durch "die
Hände der Apostel" (Kap 5,12) tat, nicht auf jene, sondern der Geist wirkt
nun auch in den Diakonen. Es ist dieser mächtige Heilige Geist, wovon Paulus
später sagen wird, es ist der Geist der Liebe, der Kraft (dynamis) und der
Besonne nheit (2Tim 1,7), und nicht der Furcht. Stephanus ist von Gott reich
gesegnet. Wir haben uns hier keinen "Starprediger" vorzustellen,
sondern einen Christen, der mit großer Hingabe für die Armen und Witwen sich
einsetzte. Vermutlich hat er viele Hausbesuch e gemacht und dabei auch viele
Kranke, Verzagte und Verzweifelte aufgefunden. Und wo Stephanus auftrat,
fassten die Verzagten neuen Mut, die Mutlosen bekamen Kraft und kranke
Geschwister wurden gesund. Der diakonische Dienst des Stephanus erinnert an die
W irksamkeit Jesu. Jesus schimmert durch den Stephanus hindurch. Und wie der
Herr oft und gerade durch Taten der Barmherzigkeit Ärger mit den Oberen bekam
(weil ihm das Symphatie des Volkes einbrachte), fürchteten seine Gegner um ihr
Ansehen. In diesem Fall besonders die hellenistisch geprägten Juden.
Vers 9-14: Männer
ohne Vollmacht
Hier steht Stephanus, ein
echter Zeuge Jesu. Voller Kraft, voller Gnade. Ein Mann mit großem Redetalent,
seine Weisheit und damit sein Einblick in die Heiligen Schriften sind
unschlagbar, sein Angesicht das eines Engels. Und er
steht ganz allein.
Dem gegenüber stehen die
Männer ohne Vollmacht. Sie müssen sich anderer Mittel bedienen. Sie kommen im
Rudel: gemeinsam sind wir stark. Sie zeugen nicht, sie streiten (V.9). Sie sind
nicht ehrlich, sondern stellen falsche Zeugen auf. Sie reden nicht klar,
sondern verdrehen das Wort. Sie klagen Dinge an, die sie selber tun - just in
diesem Moment - : sie lästern gegen Gott und Mose. Sie tun keine Werke der
Barmherzigkeit unterm Volk, sondern hetzen die Oberen auf.
Auffällig, dass "alte
Kamellen" wieder aufgewärmt werden. Und überhaupt erinnert der Prozess
sehr an den vom Herrn Jesus.
·
Lukas
22,66: "...versammelten sich die Ältesten des Volkes, die Hohenpriester
und Schriftgelehrten und führten ihn vor den Hohen Rat."
Apg
6,12: "...und die Ältesten und die Schriftgelehrten auf, traten herzu und
ergriffen ihn und führten ihn vor den Hohen Rat".
·
Mark
14,57ff: "...und einige standen auf und gaben falsches Zeugnis ab gegen
ihn und sprachen: Wir haben gehört, dass er gesagt hat: Ich will diesen Tempel,
der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in drei Tagen einen anderen bauen,
...."
Apg
6,13.14: "...und stellten falsche Zeugen auf, die sprachen: dieser Mensch
hört nicht auf, zu reden Lästerworte gegen diese Heilige Stätte und das Gesetz.
Denn wir haben ihn sagen hören: Dieser Jesus von Nazareth wird diese Stätte
zerstören und die Ordn ungen ändern, die uns Mose gegeben hat.
In diesem Fall gehen sie
noch weiter. Sie bezichtigen Stephanus eines Irrlehrers. Eines Mannes, der
Moses und sein Gesetz aushebelt. Wie kommen sie darauf? Die Überlegung ist
simpel. Vermutlich hat Stephanus die Worte Jesu zitiert und den neuen Tempel,
den der Herr aufgerichtet hat, zu Recht auf die Gemeinde Jesu bezogen. Das kann
unterschiedlich verstanden werden:
1. Die Synagoge verliert an Geltung.
Man kann sie "abreißen". An ihrer Stelle entsteht die christliche
Kirche.
2. Mit der Synagoge, dem Jerusalemer
Tempel etc.steht und fällt aber auch Macht und Einfluss der Priester und der
Vertreter der jerusalemer Theokratie. Die herrschende geistliche Schicht soll
also ihren Einfluss verlieren, stattdessen sollen die Aposel an Mac ht
zunehmen.
3. Ergo: die christliche Sekte hat das
Ziel, die bestehende jüdische Religion samt ihren Amtsträgern geschickt
abzulösen, indem sie das AT benutzt und es konsequenz auf Christus anwendet.
Aus der Sicht der Betroffenen verständlich.
4. Dennoch wußten die Juden, dass die
christliche Gemeinde keine Revolutionäre waren. Und man hätte sie auch in Ruhe
gelassen, wenn der Geist Gottes nicht so mächtig unter ihnen gewirkt hätte. Das
nämlich brachte ihnen die Symphatie des Volkes. Denn es ist ni cht
verwunderlich, dass gerade ein Mann, der praktisch im Volk tätig war - und das
schätzen die Leute immer mehr als jede Theorie - an den Pranger und schließlich
ermordert wird.
5. Und genau in der theologischen
Betrachtung setzt Stephanus in Kapitel 7 ein.
Bleibt am Schluss Vers 15. Dieser ist schon eigenartig. Es heißt, sein
Gesicht ist wie das eines Engels. Das muss nicht heißen, dass das Antlitz des
Stephanus geleuchtet hat wie einst das Angesicht des Mose,
als er nach der Gottesbegegnung vom Horeb kam. E s kann einfach nur sein, dass
der Geist Gottes in den Anklägern so wirkte, dass sie die Reinheit und Unschuld
des Stephanus wohl "sahen" und damit ihre Schuld nur noch größer
wurde. Sie handeln wider ihr inneres Gewissen. Stephanus wiederum ist schon
"halb im ewigen Leben". Er ist voller Zuversicht, voller Stärke und
Zeugenmut. Er scheint geradezu in Verzückung zu sein. Gott kann durch seinen
herrlichen Geist so wirken, dass auch im Angesicht des Todes einem ein
göttliches "Elysium" erfüllt, dass die
Gegner perplex und schwach aussehen läßt. Wir werden in Kapitel 7 die
Verteidigungsrede des Stephanus hören.