Nach der ersten Missionsreise, als Paulus die ersten Gemeinden (neben Jerusalem und Antichia) gegründet hatte (Gemeinden mit griechischen-und jüdischen Christen), kehrt Paulus und Barnabas wieder in die Ausgangsgemeinde zurück. Es dauert nicht lange, dass es gerade aufgrund des Mischverhältnisses der neuen Gemeinden zu ernsthaften Problemen und Fragen kommt. Man muss hier hinzufügen, dass alles, was in dieser ersten Zeit gesagt, entschieden und geprägt wurde, einer grundsätzlichen Weichenstellung glich für die zukünftige Christenheit! Ich vermute, dass Paulus sich dieser Tragweite bewußt war.
In der gemischten Gemeinde im syrischen Antiochia tauchen jüdische Christen auf, für die das Gesetz des Mose nachwievor bindende Kraft hat (siehe Jakobus, Bruder des Herrn). Diese stellen Forderungen auf, die aus meiner Sicht zu damaliger Zeit und Situation nachvollziehbar sind. Wie steht es mit dem Gesetz? Hebelt die neue Lehre Jesu das AT aus? Selbst heute ist diese Frage für viele Christen mehr als unklar.
Vers 1.5+24: Sie fordern die rituelle Beschneidung (was zum Halten des Gesetzes verpflichtet) und somit die unbedingt Beachtung des mosaischen Gesetzes.
Bisher war die Gemeinde im Glauben voller Freude, gelöst und frei. Nun bringen diese Frage
und Forderungen eine große Spannnung in die erste Gemeinde.
Die Folgen bleiben nicht aus. Es entsteht, was die Christenheit in den kommenden Jahrhunderten bis heute prägt: „Zwitracht“ und „nicht geringer(!) Streit“.
Vers 2b: In der Gemeinde wächst der dringende Wunsch, dass hier eine theologisch kompetente und bleibende Klärung herbeigeführt wird. Denn es steht sehr viel auf dem Spiel. Die Forderung nach der Einhaltung des Gesetzes hätte Folgen:
Die Lehrautorität von Paulus und Barnabas wird in Frage gestellt.
Damit wird natürlich auch ihr Missionsauftrag in Frage gestellt.
Damit auch ihre Funktion in der Gemeinde zu Antiochia.
Noch eben war nach dem Missionsbericht alles voller Freude. Nun hängt alles in der Luft.
Vers 3f: Die Klärung muss in Jerusalem entschieden werden. Mit einer kleinen Truppe reisen Paulus und Barnabas nach der Muttergemeinde. Eines scheint klar: die Gemeinde in Antiochia steht zu ihnen. Sie sendet sie erneut, um diese große Frage von den Aposteln klären zu lassen. Auf dem Wege lassen es sich die beiden Missionare nicht nehmen, den Christen auf ihrem Weg durch Phönizien und Samaria von den großen Taten Gottes zu berichten. Die Gläubigen werden dadurch über die Massen gestärkt und freuen sich.
Vers 4+5: In Jerusalem angekommen beginnen sie ebenfalls zuerst mit einem Bericht, was der Herr in Kleinasien getan hat! Doch Erlebnisse und Erfahrungen sind eine Sache. Zu Recht, wie ich finde, lassen sich durch Zeugnisse nicht theologische dogmatisch bindende Weichen stellen. Das hat Paulus und Barnabas auch nicht beabsichtigt, aber es sei erwähnt. Es gibt nun Christen, die wie Paulus Theologen sind, sprich Pharisäer. Sie haben Jesus als Herrn und Heiland erkannt und angenommen. Was ihnen fehlt, ist die Freiheit in Christus. Sie melden sich zu Wort, üben Kritik und es kommt zum ersten Konzil – eine beratende und entscheidende Versammlung, in der dogmatische Lehrlinien für die Kirche festgelegt werden – der Kirchengeschichte.
Vers 6.7a: Zu Beginn wogen die Meinungen hin und her. Ein langer Streit, wo eine Meinung die andere widerlegt und umgekehrt. Endlosdiskussionen, wie wir sie bis heute kennen. Übrigens kein spezifisch religiöses Phänomen. Der „Gelehrtenstreit“ ist sprichwörtlich. Ein Beispiel ist die derzeitige Troja-Diskussion. An der Ausgrabungsstätte an den Dardanellen/Türkei arbeitet der Tübinger Archäologe Korfmann und um ihn herum gibt es bis zu Gerichtsandrohungen andauernder Streit über Dinge, worüber der Laie (zugegeben) nur den Kopf schüttelt. Und ganz bestimmt geht es dabei nicht immer um die Frage der Authentizität, sondern um Eitelkeit und Ruhmneid. Typisch Mensch.
Vers 7b-11: Petrus meldet sich zu Wort. Mit ihm tritt ein allseitig anerkannter Mann auf die Bildfläche. Nach Kapitel 12,17 (Kornelius, Pfingsten der Heiden, Heidenmission) tritt er erneut auf – an entscheidenster Stelle – und er spricht erneut die alles entscheidenden Worte:
Gott hat Petrus legitimiert, den Heiden das Evangelium zu predigen! (Niemand widerspricht). Petrus legt als erste diese starke Argument in die Waagschale.
Gott hat durch die Ausgießung des Heiligen Geistes über den Heiden Kornelius und seiner Familie und Verwandten, nicht zuletzt durch die Offenbarung zuvor die Heidenmission ausdrücklich legitimiert und gesegnet!
Petrus stellt folgendes dogmatisch=verbindliches Lehrgebäude auf: Das Heil gilt auch den Heiden (V.9). Das Heil empfangen Juden und Heiden gleichermassen aus der Gnade Gottes durch den Glauben an Jesus! (Vers 9.11 -siehe auch Eph 2,8). Die Juden des alten Bundes waren nicht fähig, das Joch des Gesetzes zu tragen. Die Gnade des Herrn allein genügt!
Fazit: Die Lehre der „Brüder aus dem Gesetz“ ist eine eindeutige Irrlehre. Mehr noch: eine Versuchung Gottes (V.10).
Was nun folgt, ist ein doppeltes Schweigen. Die Rede war vollmächtig. Niemand wagt ein Wort. (V.12a). Danach wagen es Paulus und Barnabas und erzählen erneut, wie der Herr die Rede des Petrus „Hand und Fuss“ gegeben hat. Wie Erfahrungen, Erlebnisse und Taten Gottes bestätigen, was Petrus gesagt hat. Erneut folgt ein Schweigen. Denn jeder spürt, dass der Herr gewirkt hat. Und wer will sich dem Herrn in den Weg stellen?
Nun steht ein zweiter, sehr wichtiger Mann auf. Ein Mann, den die gesetzestreuen, messianischen Juden akzeptieren, achten und der ihnen theologisch „nahe steht“: „Jakobus, der Bruder des Herrn!“ Seine ergänzenden Worte schaffen den letzten Durchbruch:
Jakobus knüpft an der Rede des Petrus an! Besonders seiner Worte zur Heidenmission (Vers 14).
Jakobus unterstreicht definitiv, dass er die Lehraussage des Petrus hundertprozentig mitträgt. Ja, er stellt sogar einen Schriftbeweis auf aus Amos 9,11.12 (Verse 15-18).
Jakobus stellt nun einen Lösungsvorschlag vor (V.19-21). Ziel dieser Lösung ist es, dass in den Gemeinden der Zukunft niemehr diese Frage zu Spaltungen, Unruhen oder Feindschaften führen soll. Hier sein lehrhafter und praktischer Vorschlag:
Die mosaische, rituelle Beschneidung, wie vom Gesetz gefordert, entfällt (V.19). „Allein aus Gnaden und Glaube“ genügt.
Vier notwendige Verhaltensregeln gelten für alle. Hier muss erwähnt werden, dass diese Regelung nicht als Dogma, sondern als Regelung „aus Liebe zu dem, der in seinem Gewissen belastet ist“. Nochmal: in den ersten Gemeinden lebten Juden und Griechen als Christen Tür an Tür. Die Griechen hatten weit mehr Freiheiten als der jüdisch geprägte Christ. Aus Liebe zum jüdischen Mitbruder erklärt sich der griechischen Christ bereit, auf bestimmte Dinge zu verzichten:
Enthaltung von der Befleckung durch Götzen – d.h. Christen essen kein Fleisch, das zuvor den Götzen geopfert wurde. Ganz im Sinne von 3.Mose 17,7; 1Kor 10,21. Vom ersten Gebot her auch verständlich (2Mose 20,3). Ich meine, das dürfte ein Kunststück gewesen sein, denn fast alles Fleisch enstammte Götzenopferungen. Anderes Fleisch, falls kein eigene Viehzucht zur Hand, dürfte damals so schwierig zu bekommen gewesen sein, wie heute koscheres Fleisch.
Enthaltung von Unzucht: (porneia). Im weitesten Sinn meint es sexuellen Verkehr mit Prostituierten. Ein Verhalten, dass für die Griechen eine starke Neuumstellung gewesen sein muss, denn bei allen Götterfesten gab es Tempelprostitution. Im engeren Sinn war eine Ehe innerhalb enger Verwandtschaftsgrade verboten (vgl. 3.Mose 18,1ff/ 1Kor 6,18).
Vom 7.Gebot ist diese Regelung absolut nachvollziehbar.
Enthaltung von Blut/von Ersticktem: (vgl. dazu 3Mose 17,10-12). Nochmal ein Gebot bezüglich des Fleischkonsums. Demnach durfte ein Christ kein Fleisch essen von toten Tieren, in denen noch Blut war (koscheres Fleisch). Es durfte demnach auch kein „ungeschächtetes Tier“ gegessen werden. Weil im Blut das Leben ist, verbietet Gott den Genuss desselben in 3.Mose 17,11, 13-16.
Bei diesen vier Punkten gilt ausnahmslos, dass sie vom AT her sowohl für den Juden, als auch für den Fremdling unter den Juden gefordert sind. Vgl. dazu 3Mose 17,8.10.13.15 und 3Mose 18,26.
Die ersten beiden genannten Punkte leuchten uns auch heute ein, die beiden letztgenannten Punkte eher nicht. Sie sind Diskussionsstoff bis heute.
Folgende Gedankengänge sind hier wichtig:
Die Situation: Heiden-und Judenchristen haben das Bedürfnis, gemeinsam die Tischmahlzeit zu sich zu nehmen. Keine Trennung mehr von Kultur und Herkunft. Christus verbindet alle.
Die Tatsache: Doch in der Praxis dürfte es Probleme gegeben haben. Der Judenchrist kann seine Vergangenheit nicht einfach ablegen. Bestimmte Speisen kann er ohne schlechtes Gewissen nicht zu sich nehmen. Im Gegensatz dazu empfindet der griechisch geprägte Christ die fehlende Freiheit als gesetzlich und unangenehm.
Fragen: Wie steht`s nun? Muss nun der Christ, der die Freiheit hat, auf die Ausübung seiner Freiheit verzichten, nur weil ein Bruder ein enges Gewissen hat? Die Antwort ist ja. Denn der Preis dieser Inanspruchnahme der Freiheit ist hoch: Spaltung, Streit und Unruhe. Es ist ja nicht so, dass der eine dem anderen nichts gönnt, sondern es dreht sich um das Gewissen. Paulus möchte, dass die Heidenchristen Rücksicht nehmen auf die Judenchristen.
Folgerung: Die beiden letzten Vorschriften sind nach meiner Ansicht situationsbedingt-zeitgeschichtlich. Das bedeutet, sie machten nur Sinn in einer Zeit, wo des Jüdisch-heidenchristliche Gemeinden gab. In rein heidenchristlichen Gemeinden hätte diese Regelung keinen Sinn. Der Anlass greift nicht mehr. Die Ausübung wäre somit rein gesetzlicher Natur, wenn sie gefordert würde.
Kein Kompromiss: Manche verstehen die Rede des Jakobus als Kompromiss. Das ist es aber nicht. Die Forderung der „gesetzestreuen Juden“ wurde als Irrlehre gebrandmarkt und abgelehnt. Die Heidenchristen wiederum werden an ihre Liebe appeliert und auf Rücksicht auf das schwache, jüdische Gewissen. Das verlangt die Bruderliebe.
Der dogmatische Lehrbeschluss wird durch die Apostel, die Ältesten und die ganze Gemeinde ratifiziert. Der Beschluss ist demnach nicht durch ein diktatorische Forderung des Jakobus entstanden, wie manche meinen. Im Gegenteil. Es wird nach demokratischem Modell entschieden (demokratisch bezüglich der Form der Abstimmung). Was dem ganzen ein großes Gewicht gibt ist die Einmütigkeit, die beide Parteien erfüllen. Wo aber Einmütigkeit unter Christen ist, da wirkt in der Regel der Heilige Geist.
(Vers 22a): In der Gemeinde, in Hauskreisen, in sonstigen strukturierten Versammlungen kann es schnell zu Streit und Uneinigkeit kommen. Streitpunkte gibt es genug. Gerade in Sitzungen und Gremien kann es zu heftigen Zerwürfnissen kommen. Die Entscheidungen werden oft „erdiskutiert“. Das meint, dass derjenige mit den besten Argumenten, den besten Nerven und womöglich dem höchsten Ansehen die Oberhand gewinnt. Nicht selten sind dieser Entscheidung viele Gespräche „hintenrum“ vorausgegangen. Nicht so in unserem Text. Die Juden-wie die Heidenchristen reden von „Mann-zu-Mann“, sie reden und hören einander zu, sie streiten auch – sogar heftig. Aber sie wollen unbedingt den Willen Gottes erkennen. Den Beschluss nehmen sie nicht nur zur Kenntnis, sondern nehmen in auf und an. Sie spüren, was alle spüren: der Heilige Geist hat geredet. Im englischen würde man sagen: „Bingo! That´s it!!“
Verse 22b-23b: Das erste Konzil in der Geschichte der Christenheit hat getagt. Der Beschluss steht fest. Er wird niedergeschrieben und veröffentlicht. Es werden zwei Männer gewählt, die man vielleicht heute einen päpstlichen Legaten vergleichen würde (oder Nuntius). Wichtig: die Männer, die die Botschaft überbringen, müssen glaubwürdig sein. Darum: zwei angesehene Männer. Zwei, weil lt.dem AT aus eine Sache durch zweier Zeugnis Geltung hat. Judas und Silas werden Paulus und Barnabas begleiten auf ihrem Heimweg nach Antiochia. Mit diesem Verfahren wird auch die Lehrautorität der beiden Heidenmissionare wieder festgelegt.
Das Schreiben macht schon vom Briefkopf deutlich, dass es ein Schreiben mit biblischer Autorität darstellt. Nicht der Gemeinde in Antiochia gilt der Inhalt, sondern allen Christen. Es macht deutlich, dass diese Irrlehre, hätte sie sich durchgesetzt, der Weltmission in den Anfängen schon das Wasser abgegraben hätte. Die Weltgeschichte wäre völlig anders verlaufen. Das muss man sich vorstellen. Das Christentum hat in den kommenden Jahrhunderten eine welttragende Rolle gespielt. Und dies alles ist beeinflusst und bestimmt worden von diesem (kleinen) Konzil. Das ist Gottes Art, zu regieren.
Wie reagiert nun die Gemeinde? Folgender Ablauf zeichnet sich ab:
Einberufung einer Gemeindeversammlung: Es soll der Brief öffentlich übergeben und dann verlesen werden. (Vers 30: der Ablauf ist beachtenswert)
In der Gemeinde entsteht große Freude. Sie sind auf dem richtigen Weg und können ihn unbeirrt fortsetzen (V.31).
Die Gemeinde wird durch die Abgesandten nochmal gestärkt, ermahnt (im besten Sinn) und aufgerichtet (Verse 32.33)
Paulus und Barnabas nehmen ihren Lehrauftrag wieder wahr (V.35). Die Verhältnisse stabilisieren sich wieder und bald heißt es: „Lasst uns wieder aufbrechen....!“
Die Weltmission geht weiter. Das ist das klare Ziel und das große Ergebnis.
Der große Disput ist beigelegt. Die streitenden Parteien geeinigt. Das Ziel steht wieder allen vor Augen. Gott hat gewirkt. Doch der kleine Streit, der kleine Disput, die kleinen Spaltungen machen auch vor Paulus und Barnabas nicht halt. Damit hätte wohl niemand gerechnet, dass ausgerechnet diese zwei nach all dem Erlebten sich entzweien. Wie kam es dazu?
Die 2.Missionsreise steht bevor. Barnabas und Paulus sollten wieder ein Team bilden. Vermutlich sind sich beide einig, dass es gut wäre, nun zwei weitere Männer mitzunehmen. Damit verdoppelt sich die Möglichkeit, Menschen von Christus zu erzählen. Ein Geheimnis, das z.B. der Gründer der christlichen Studentenbewegung „Die Navigatoren“ Dawson Trottman zu eigen machte. Er sagte, wenn jeder Christ einen Menschen für Jesus gewänne, und der Gewonnene wiederum einen Neuen für Christus etc., dann würde theoretisch die Welt bald komplett erreichen. Wenn nur...
Barnabas, der Mann, der Paulus in der Zeit, wo jeder ihm misstraute, widerspruchslos annahm, der Paulus in die Gemeinde einführte und dem Paulus so viel verdankt, dieser Barnabas hat auch ein Herz für Markus. Dieser (Apg 12,12+25) war, wie wir wissen, im Taurusgebirge geflohen zurück nach Jerusalem. Für Paulus ist dieser „Feigling“ ungeeignet für die Mission. Barnabas aber hat ein großes Herz für solche Menschen. Er nimmt ihn erneut mit.
Paulus und Barnabas - so wörtlich - „kamen scharf aneinander“. Es ist kein Wort von Versöhnung. Eigentlich keine guten Voraussetzung für die 2.Missionsreise. Im ersten Fall sind sie noch voller Segen und Einigkeit los. Auch das gehört zur ersten Missionsgeschichte.
Paulus wählt sich nun einen treuen, fähigen Begleiter, den er in Jerusalem kennen gelernt hat: Silas. Barnabas wählt Markus. Paulus und Silas ziehen nun nach Norden, also von Syrien aus über den Landweg Richtung Kilikien – die Heimat des Paulus. Barnabas wiederum wählt erneut den Seeweg nach Zypern – in seine Heimat. Beide verfolgen also den Grundgedanken der ersten Missionsreise – sprich dort zu beginnen, wo man Land und Leute kennt.