Bibelarbeit: Nehemia 2

erstellt von Michael Strauch


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B: Nehemia Kapitel 2

1. Einleitende Bemerkungen

2. Kurze Gliederung

3. Exegetische Bemerkungen

1. Einleitende Bemerkungen

Das Kapitel entfaltet sich in zwei Aufzügen. In einer Theateraufführung würden wir drei Personen zu Gesicht bekommen: der König, neben ihm seine Gemahlin und Nehemia. Unsichtbar die vierte Person: DER HERR. Und Nehemia redet - horizontal - mit dem König, und zugleich vertikal mit Gott. Alles fließt in den Alltag, den Beruf, seiner privaten Spähe ein - Nehmemia ist ein Mann, der hört, was Gott redet.

Die große Spannung liegt im ersten Aufzug darin, ob der Herr und wie der Herr das Anliegen Nehemias erhört. Nehemia übt keinen Druck aus, sondern wartet auf Gottes Handeln. Wenn es aber ins Licht tritt, dann greift Nehemia mutig und im positiven Sinne unverschämt zu. Denn er weiß, nicht der König, sondern Gott lenkt die Dinge.

Der Vorhang schließt sich. Als er sich öffnet, ist Nehemia schon in Jerusalem. Die ganze bürokratische Abwicklung auf dem Wege nach Jerusalem, überhaupt die lange beschwerliche Reise findet keinen erzählerischen Schwerpunkt.

Die Bühne ist dunkel. Diese Szene empfinde ich als einzigartig schön. Eine orientalische Nacht, ein einsamer Reiter, der - eingehüllt im Mantel der Verschwiegen- heit - sich ein Bild macht vom Maß der Zerstörung. Nehemia findet sich offenbar auch in großer Dunkelheit bestens zurecht und er scheint ein geradezu photographisches Gedächtnis zu haben. Er macht sich keine Notizen, er zeichnet keine gefährlichen Skizzen, er speichert alles in seinem Kopf.

Beide Aufzüge enden jeweils mit dem Erscheinen der Widersacher. Zuerst zwei, dann drei.

2. Kurze Gliederung

3. Exegetische Bemerkungen Verse 1 - 6: Seit dem Monat Kislew mußte Nehemia drei Monate warten (Nissan), bis Gott das erste Signal gab. Man möchte annehmen, Nehemia hätte gebetet und konnte nun frohen Mutes sein, weil er doch glauben darf, daß Gott seine Gebete erhört. Aber wir finden immer wieder einen sensiblen, fast ängstlichen Nehemia vor uns (Vers 4). Er leidet sprichwörtlich auch physisch darunter, daß Jerusalem so zerbrochen da liegt. Und noch einmal muß erwähnt werden, daß Nehemia sich dieses Leiden - bis dahin, daß er fast depressiv wirkte - nicht entzog, sondern es bewußt an sich zuließ. Er konnte es zulassen, weil einer Stärkerer ihn trug. Ich muß getragen werden, damit ich tragen kann. Wieviel "Mitleiden" - nicht um den desolaten Zustand der Stadt Gottes - sondern auch um den desolaten Zustand seiner Landsgenossen (K.1,3). Dies muß erwähnt werden, weil es ein pseudohaftes Leiden um den Zustand der Kirche gibt, daß aber der Zustand des Nächsten gefliessentlich außer Acht läßt. Dieses Leiden entspringt einer egozentrischen, romantischen Natur und ist im Grunde genommen kein wirkliches Mitleiden, sondern nur ein frommes "Sich besser und gerechter empfinden" als den Gegenstand der scheinbaren Trauer. So ist es auch nicht verwunderlich, daß diese Art von Trauer bei Nichtchristen als ungut, unangepaßt und im tiefsten falsch empfunden wird. Nicht so bei Nehemia: Der König empfindet das Leiden Nehemias als etwas, was in ihm eine Unruhe weckt. Ein Mann, der brennende Städte, gefallene Krieger und Elend en masse erlebt hat, der darüber gewiß hart und stolz ist, dieser Mann wird im tiefsten angerührt von wirklichen, geistlichen Mitleiden seines geliebten Nehemias. Die Art und Weise, wie der König mit Nehemia spricht, zeugt von großer Vertraulich- keit. Der König vermag weise zu physisches vom seelischen Leiden zu unterscheiden. Vermutlich hat er Nehemia schon lange beobachtet. In Nehemia löst diese emphatische Frage Furcht ein. Warum Furcht? Ich könnte mir vorstellen, daß ein trauriges Gesicht im Beisein des Königs auch mißgedeutet werden konnte. Könige waren launisch und mächtig. Wer den Anschein erweckt, im Dienste des Königs nicht glücklich zu sein, könnte gefährlich leben. Auch dürfen wir uns die Beziehung Nehemias zum König sich nicht "kumpelhaft" vorstellen. Nehemia nimmt allen Mut zusammen und sagt ihm ganz ehrlich, ohne die Höflichkeitsformel zu vergessen, wie es in ihm aussieht. Meine Heimat ist zerstört, meine Väter liegen dort begraben, die Tore sind verbrannt. Das ist eine Sprache, das sind Vokabeln, mit denen der König etwas anzufangen weiß. Denn in allen orientalischen Ländern ehrte man die Ahnen, liebte man die Heimat, war am stolz auf Tor und Mauer als Zeichen der Sicherheit und Macht des Reiches. Aber es sind auch militärische Vokabeln. Eine Mauer um eine besiegte Stadt? Das Aufblühen - ja doch das Wiedererstarken des besiegten Feindes? Sollte sich der König nicht erst mit seinen Beratern zurückziehen? So hören wir auch keine direkte Zustimmung. Der König braucht mehr Informationen. Statt Ja oder Nein gewährt er Nehemia eine Bitte. Sag mir genau, was Du willst. Hier müssen wir Nehemia für Sekunden beiseite stellen. Denn Nehemia spricht unbemerkt mit einer zweiten Person, mit Gott selbst. Diese Situation ist heikel, er setzt alles auf eine Karte. Er riskiert womöglich, mit seiner Bitte als Verräter dazustehen. In Vers 19 unterstellen ihm seine Feinde auch genau dieses Ansinnen. Nehemia vertraut hier nicht seiner guten Beziehung, seinem Amt, dem Vertrauen des Königs ihn ihm. Das ist alles Haschen nach Wind. Das kann heute so sein und morgen anders. Nein, Nehemia bittet Gott, daß er Gelingen schenkt. In dieser Begleitung kann Nehemia offen und klar seine Bitte nennen. Es erinnert geradezu an Mose vor Pharao. Let my people go! Laß mich ziehen nach Jerusalem. Ich will sie wieder aufbauen. Nun ist es draußen. Das Ansinnen Nehemias ist ungeheuerlich. Pharao hatte als politisch denkender Mensch natürlich sofort abgewehrt. Aber Gott lenkt die Herrscher dieser Welt wie Wasserbäche und es bleibt sein Geheimnis, wann er den Willen eines Herrschers lenkt und wann er ihm "seinen Willen überläßt" mit allen Konsequenzen. Der König gibt wieder weder Ja noch Nein. Es wird hier nur fast verwirrender Weise erwähnt, daß die Königin alles mitbekommt. Der König fragt weiter: Kommst Du wieder? Und wann? Daß Nehemia wieder kommt nach Susa, scheint ihm Garant seines treuen und ehrenhaften Ansinnens zu sein. Nehemia nennt ihm eine Zeit, die vermutlich bewußt nicht erwähnt wird. Die ganze Reise bleibt Top Secret. Die Verse 7-10: In einem zweiten Teil bespricht Nehemia noch konkreter alle technischen Einzelheiten mit seinem König durch. Denn das Großreich Persien wird durch Satrapen - Statthalter - gelenkt. Da es weder Handy, E-Mail noch sonstige technischen Errungenschaften gab, braucht Nehemia so etwas wie königliche Durchreisepapiere. Denn die Statthalter wissen nichts von Vorhaben und der Mission Nehemias. Sie sollen auch nichts wissen, sondern sie sollen Nehemia passieren lassen und ihm eine Sicherheitseskorte bereitstellen. (Wir erinnern uns, daß Esra diese Eskorte abgelehnt hat). Nach dem königlichen Marschbefehl müssen Befehle schriftlich verfaßt werden, wo- nach Nehemia dem Minister für Forstwirtschaft den Auftrag erteilt, Holz abzuliefern, damit:

Und der König gewährt alles. Eine Gebetserhörung, wie Nehemia erwähnt. Es ist die "gnädige Hand Gottes", die mit ihm war. Nehemia wird nun auch begleitet von hohen Offizieren und alles verläuft nach Plan. Doch oft, wenn Gott seine Wunder tut, die Wege ebnet und Herzen öffnet, treten Widersacher auf den Plan. Es sind die Bewohner der umliegenden Gebiete im Norden, Osten und Süden. Genauer Sanballat, Statthalter der Provinz Samaria und Tobija, der die ostjordanische Nachbarprovinz leitet, wo die Moabiter und Ammoniter wohnten. Diesselbe feindliche, umklammernde Allianz, wie es Israel heute auch erlebt. Und diese Widersacher "hören", "spotten" und "bekämpfen", wo immer sich die Gelegenheit bietet. Einschub: Es lohnt sich, zu untersuchen über alle Kapitel hinweg, wie Nehemia und seine Gegner fast spiegelbildlich sich gegenüberstehen. Nehemia Feinde

"Als ich aber diese Worte hörte..." (1,4)

Als das hörten Sanballat... (2,10)

trug Leid, weinte, fastete und betete

es verdroß sie...

Nehemia übt Buße und bittet um Erneuerung

Die Feinde wollen den Status Quo

Nehemia betet zu Gott und redet ein klares Bekenntnis (K 2,20)

Die Feinde spotten und höhnen (K.2,19)

Es wird deutlich: Nehemia ist ein Mann des Gebets. Er lebt mit Gott, auch und gerade in seinem beruflichen Umfeld. Er ermutigt, zu beten und Gebetserfahrungen mit Gott zu machen. Aus dem geistlichen Herzen und der geistlich geschärften Wahrnehmung Nehemias entspringen klare Worte, klare Vorstellungen und klares Handeln. Sein Herz kümmert sich um das Technische ebenso wie um das menschliche Desaster. Denn Gemeinde und Gemeindeglieder sind untrennbar miteinander verwoben. So darf und muß der Bau der Gemeinde Hand in Hand laufen mit der Liebe zum nächsten Bruder oder zur Schwester. Doch auch hier gilt: wer sich einsetzt, setzt sich aus. Wer Gott gemäß leben will, wird Gott in unendlichem Maße gewinnen, dafür Feinde auf sich aufmerksam machen. Und das ist das teuflische, ungöttliche Verhalten: Das Gemeinde den Status Quo behalten soll. Daß man um die Nöte der Geschwister weiß, aber die Schulter zuckt. Daß man Gott nicht fragt, wie und ob man helfen soll, denn Gott könnte einem ja womöglich einen "Marschbefehl" erteilen. Die zerfallenen Mauern werden zum Sinnbild zum zerfallenen Gemüt der Einwohner. Das erste, was nun Nehemia tut: er stellt den IST-Zustand fest! Wie sieht es aus, wie soll es aussehen. Und über alle dem hüllt sich Nehemia in Schweigen. Die Verse 11-20: Wie ermittelt nun Nehemia den Ist-Zustand? Einem Prediger wird gesagt, wenn er eine neue Gemeinde betritt, er solle die Protokolle lesen und hören! Es ist nicht gut, gleich mit allen möglichen Menschen sich zu unterhalten. Jeder schildert seine gefilterte Darstellung und wird versuchen, den Leiter zu überzeugen. Nehemia macht sich zuerst selbst ein Bild, unbemerkt, in der Nacht. Interessant ist, daß Nehemia nach seiner Beschreibung nur einen Teil der Mauer inspiziert. Das Taltor lag mittig im Westen der Stadt. Von dort ritt Nehemia der Mauer nach Süden entlang, umrundete sie und kam zum Misttor, das im Osten ungefähr in gleicher Höhe zum Taltor stand. Von dort ritt er wieder zurück. Der Tempel lag weiter oben im Norden. der Stadt. Offenbar war die Mauer im südlichen Stadtabschnitt besonders zerstört. Einschub: Die Ermittlung des Ist-Zustandes ist eine - im Vergleich zum Aufbau - ver- hältnismäßig schnell vollzogene Angelegenheit. Heute ist es oft umgekehrt. Wieviele Sitzungen, Gespräche und Überzeugungsarbeit muß geleistet werden, bis man überhaupt mal sich ehrlich fragt: wie sieht es um den Bau der Gemeinde Gottes aus? Wo sind Mauern eingerissen? Wo muß Erneuerung stattfinden? Den Status Quo zu erhalten, liegt nur im Interesse des Feindes. Im Falle Nehemias sogar die eigenen Kollegen (aus persischer Sichtweise). Denn ein Erstarken einer kleinen Gemeinde bedeutet Verminderung ihrer Macht. Daran haben sie kein Interesse. Erst nach diesen Schritten beruft Nehemia eine Versammlung ein. Nehemia hat einen großen Vorteil in seiner Arbeit: die desolate Lage ist so offensichtlich, daß er nicht noch zusätzlich die Menschen darüber aufklären muß, wie traurig die Situation ist. Wie drückt sich aber der schlimme Zustand aus?

Die Gemeinde ruft einstimmig aus. wir wollen bauen. Es ist eine gemeinsame Aktion, die im Namen Gottes und nach Hören seines Willens in Angriff genommen wird. Heute scheint der Zustand gerade zu umgekehrt. Gemeinden, die unattraktiv wirken, überläßt man ihrem sterbenden Schicksal und siedelt sich zu den großen Gemeinden, "wo was los ist!" Garant für ein Gemeindewachstum ist "bedürfnisorientierter Gemeindebau!" Eine Gemeinde, die alles bietet, was das Herz begehrt, zieht an. Was kümmern mich die kleinen Gemeinden? Wo sind die Christen, die sagen: komm, laß uns aufbauen, was darniederliegt. Wir wollen den desolaten Zustand nicht akzeptieren. Wir wollen mitanpacken. Gerade die landeskirchlichen Gemeinschaften haben es sich zur Aufgabe gemacht, Gemeinde dort zu bauen, wo schon Strukturen vorhanden sind, aber der Status Quo Einzug hält. Liegen die Landeskirchlichen Gemeinschaften also im biblischen Trend? Vorsicht: Wir müssen sicher aufpassen, daß wir die Situation von Jerusalem nicht 1:1 ins heutige Gemeindegeschehen übertragen. Das geht nicht. Aber wir können Parallelen ziehen und - das allerdings nicht absolut - lernen, wie Nehemia an seine Schwierigkeiten heran gegangen ist. Wenn wir also den übertragenen Vergleich wagen und sagen: es ist gut und wichtig, daß wir in unserer Gemeinde/Gemeinschaft den Ist-Zustand ermitteln und uns gerade dort einsezten, wo eine Kirche/Gemeinschaft "wüst daliegt" und nur noch ein "Gespött der Leute" darstellt. Dazu braucht es allerdings einen klaren Auftrag Gottes. Diesen Auftrag hat sich Nehemia erbeten und die Türen haben sich ihm geöffnet. Gleichzeitig macht sich auch der Widersacher bemerkbar. Das hieße also konkret: 1. Gebet Nehemias=dem geht ein Leiden um Haus und Person voran und die Bitte um Erneuerung. 2. Warten auf das Wirken des Herrn. Auf den göttlichen "Marschbefehl" 3. Behutsame Schritte wagen. Den Ist-Zustand ermitteln. 4. Den Ist-Zustand der Gemeinde vermitteln (Transparenz) 5. Aufruf zur allgemeinen Mitarbeit mit klarer Zielfassung: laßt uns die Mauer bauen. 6. Angabe des Grundes für die Aktion: Gottes Ehre, daß Menschen vom Spotten ins Loben gelangen. 7. Klares Bekenntnis ohne Wenn und Aber nach außen (Vers 20)