Von Michael Strauch
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Gliederung
Zu schön, um wahr zu sein? (Verse 1-4)
Im Auge des Orkans (V.5-10)
Zwischen „Kain und Abel“ (Verse 11-15a)
Mose in der Schule Gottes (Verse 15b-25)
Zu schön, um wahr zu sein?
Kennen Sie die Geschichte von Siegfried aus Xanten? Er war der Sohn Sigismunds aus dem verhaßten Geschlecht der Welsungen. Sein Vater wiederum war der altgermanische Gott Wotan, der (wie so oft) als Gott mit irdischen Frauen schlief. Siegfrieds Vater wurde getötet, seiner Mutter setzte Wotan nach, das Kind sollte nicht am Leben bleiben. Eine Walküre, einer der Kriegsamazonen Wotans, verbarg die Mutter. Sie gebar in der Wildnis ihr Kind und starb. Ein Zwerg (Mime) nahm das Kind auf und zog ihn auf. Siegfried wuchs zum Helden heran.
Diese Motive, dass ein besonderes Kind auf der schwarzen Liste steht, schon im Kindsalter fliehen muss und in der Fremde aufgezogen zum Helden wird, findet sich vielfach in den Legenden vieler Völker. So auch in der babylonischen Mythologie, nach der König Sargon (2600 v.Chr) von seiner Mutter (eine heilige Frau) in ein mit Erdharz verpichtes Kästlein im Wasser ausgesetzt wurde. Gefunden wurde der Knabe von einem Gott und als Held großgezogen. Ähnliches berichten die Römer mit den Begründern Roms - Romulus und Remus - die, allerdings in der Wildnis ausgesetzt - von einer Wölfin großgezogen wurde. Auch in der altagyptischen Mythologie wurde Osiris als Kind auf dem Wasser ausgesetzt, gerettet, im Verborgenen gesäugt etc. Interessanterweise taucht das Motiv bei Jesus ebenfalls auf. Als Maria auf übernatürliche Weise schwanger wurde und den Sohn Gottes gebar, um bald vor den Häschern des Herodes nach Ägypten zu fliehen. Die Ähnlichkeiten sind verblüffend. Stammen die Eltern des Mose aus dem Geschlecht Levi, also einem priesterlichen Geschlecht (König Sargon bezeichnete seine Mutter als Gottesherrin). Aufgezogen wurden sie im Verborgenen, angenommen von Göttern oder im Fall des Mose, von einer Frau königlichen Geblüts.
Ist also Exodus 2, 1-4 nur eine weitere Darstellung eines Mythos, damit auch Israel einen wunder-samen Helden hat? In der Tageszeitung „Rems-Murr-Rundschau“ vom 13.02.03 Nr.36-g findet der Leser einen großen Artikel mit der Überschrift: „Die Bibel beim Wor t nehmen - aber nicht wörtlich“. Darin schreibt Götz Hünemörder, dass „die Autoren der Bibel ...aus ihrem Wissenhorizont... schrie-ben. Wer diese Texte heute liest, weiß anderes und mehr...“
Es ist nicht leicht und oft hoffnungslos müßig, diesen scheinbar logischen Schlussfolgerungen etwas entgegenzusetzen. Ich möchte es aber doch tun. Für mich liegt ein entscheidender Unterschied darin, dass all die Geschichten, wie wir sie erwähnt haben, von Göttern, gottähnlichen Wesen und sonstigen Fabelelementen handeln. Die Geschichte von Moses ist davon völlig frei. Es gibt überhaupt keinen Grund, die historische Bewandtnis in Frage zu stellen. Warum, in aller Welt, soll es dass nicht gegeben haben, dass eine Frau, die ihr Kind retten will, den Säugling in eine „Arche“ legt und hofft und betet, dass jemand sich seiner erbarmt? Denn die Schwester des Mose hat das schwimmende Kästlein verfolgt, also entspringt das Ganze einem verzweifelten Plan einer verzwe ifelten Mutter. Und Menschen in Not können sehr erfinderisch sein. Weiter: warum soll Gott nicht bewußt, ganz bewußt und real so etwas geschehen lassen, weil er weiß, dass es diese Mythen gab? Denn die Geschichte von Moses knüpft im Denken und in der Vorst ellungswelt der Völker an und bildet somit eine Brücke des Verstehens. Warum soll Gott, der Allmächtige, nicht Wirklichkeit werden lassen, was in den Völkern als Ahnung niedergeschrieben wurde? Um damit eine Brücke zu bauen zwischen Mensch und ihm? Zu schö n, um wahr zu sein? Nein, es ist schön, dass es wahr ist.
Schön ist auch, was die Mutter des Mose uns vorlebt. Dieses, wenn auch unglaublich schwere Los lassen ihres Kindes. So wie Maria ihren Sohn gehen lassen mußte, so auch die Mutter des Mose. Indem sie den Sohn eine Mini-Arche legt, macht sie damit kund: Gott es Barmherzigkeit möge das Kind bewahren, wie einst seine Barmherzigkeit Noah und die Seinen bewahrte. Sie läßt los, wie später die Mutter des Samuel (1Sam 1), wie später Maria. Diese Kinder werden Gott anbefohlen, geheiligt, für eine große Aufgabe vorbere itet.
Im Auge des Orkans (V.5-10)
Eine Windhose, ein Hurrikan oder Taifun sind zerstörende Naturkräfte. Doch inmitten dieses Wirbels herscht gespenstische Stille und Ruhe. Was sich am Ufer des Nils so „märchenhaft“ abspielt, ist eigentlich die Ruhe innerhalb des Sturms. Denn das Kind wird ausgerechnet entdeckt von den Erzfeinden der Hebräer. Nicht eine ägyptische Frau, die am Ufer Wäsche wäscht, nicht von ägyp-tischen Jägern, die im Schilf Vogelfallen stellen, sondern Gott lenkt das schwimmenden Kinderbett ausgerechnet in die Fänge der obe rsten, ägyptischen Instanz. Und was heute beim Lesen so niedlich und rührend wirkt, ist eigentlich mit angehaltenem Atem zu lesen. Das Kästchen war im Schilf verborgen, die Pharaonentochter umgeben von kreischenden und lachenden Kammerzofen. Und trotz der Ablenkung und der Tarnung wird der Blick des Feindes genau auf das Kind gelenkt. Hier der völlig wehrlose Säugling, dort die ägyptische Macht. Ob sie das Kästchen einfach nicht weiter beachtet? Zu spät, ihr ausgereckter Arm läßt schon einer der Zofen sprin gen und sie holt das schwimmende Etwas. Der Atem hat kaum Zeit, Luft zu holen, als es heißt, dass man das Kästchen öffnen solle. Erneut heißt es: sie sah! Und „siehe“. Die Tochter wußte um den Befehl des Königs. Die Zofen wußten um den schwarzen Todesindex . Das Kind sieht ebenfalls und begreift sofort, dass diese Frauen in ihrer Kleidung und hohen Perücken weder Schwester noch Mutter sind. Befremdet und klagend beginnt es mit der einzigen Waffe, die ein Säugling hat: es weint. Das Weinen eines Kindes rührt instinktiv das Herz einer Frau an. Mütter hören selbst im tiefsten Schlaf das Schreien ihrer Kinder wie eine innere Alarmglocke. Das Kind schreit. Nun bleibt nur noch eine letzte, eine allerletzte Hoffnung: sie erkennt das Kind nicht als ein Hebräerkind. D och der Blick der Königstochter erfaßt die Wahrheit blitzschnell. Und in diesem Moment, wo man meint, sie befehle: werft das Kind zu den Krokodilen, ihr kennt den Befehl des Königs!“ - wird sie von Gott überwunden. Nicht mit Gewalt, nicht mit Drohen und Ge richt. Sie erfährt das tiefe, mütterliche Erbarmen über ein wehrloses Kind. Das ist die Chance der Schwester des Mose. Sie reagiert geistesgegenwärtig und appelliert an die höfische Praxis feiner ägyptischer Damen, die auch nicht ihre eigenen Kinder gesäug t haben. Für all dies gab es Hebammen, Stillende Frauen etc. Die Pharaonentochter geht auf den Vorschlag ein.
Die Mutter bekommt ihren „verlorenen Sohn“ wieder. Im bestimmten Alter wird er im Hause Pharaus der Tochter übergeben. Da sie „ihn aus dem Wasser gezogen“, gleich einer Hebamme aus dem lebensspendenden, heiligen Nil!“ , nimmt sie ihn in Ehren an. Sie gibt ihm einen Namen: Moses. Im ägyptischen Sprachgebrauch klingt das Wort „mes“ mit, was darauf hindeutet, dass er ein Sohn Pharaos ist. Da die Pharaonen immer auch als Sprößlinge der Götter angesehen wurden, kann man sagen, dass Mose für den ägyptischen Glaub en ein „Gottesssohn“ war. Im hebraischen klingt das Wort moschah oder mäschah an. Es bedeudet herausziehen als aktiver Akt, nicht passiv. Also Mose, für Ägypten der Herausgezogene, für Israel der Herauszieher. Nämlich der, den Gott bestimmt hat, sein Volk Israel aus Ägypten „herauszuziehen“!
Zwischen „Kain und Abel“ (Verse 11-15a)
Mose macht eine Entwicklung durch. Ob er wußte, dass in seinem königlichen Leib das Blut der Sklaven floss? Eigenartig genug, dass Mose sich bei den Sklaven überhaupt aufhielt. Königssöhne gingen auf die Jagd, waren im Hof, führten Kriegerabteilungen an, t rieben Sport. Dieser aber treibt es zu diesen Menschen ohne Nation. Er sah ihre Gesichter, die Farbe ihrer Haut. Er hörte ihre Sprache und erkannte, dass es „seine Brüder“ sind. Wie lange trug er seinen Konflikt in sich? Diese gequälten Gesichter von Männe r und Frauen, die bohrenden Fragen nach den leiblichen Eltern und dieses Feuer, das nicht verlöschen wollte: ich bin zu Höherem berufen! Mose wußte und glaubte an Gott, obwohl er ihn kaum kannte (Hebr.11,24.25). Und er ahnte, dass dieses „Höhere“ nicht Ruh m und Ehre waren, nicht ein steinernes Gedenken, nicht Prunk und Reichtum. Mose zieht es immer wieder zu „seinen Brüdern“. Und was er sieht, läßt in ihm finstere Gedanken hochkommen. Finster und edel zugleich. Edel, weil er sich heiß nach Gerechtigkeit seh nt. Finster, weil Mord Mord bleibt.
Und dann wird der Königssohn unfreiwilliger Zeuge, wie ein Ägypter einen hebräischen Mann prügelt. Mose hat gelernt, nicht im Jähzorn zu reagieren, sich zu beherrschen. Er handelt bedacht, prüft, ob niemand zugegen ist und wird zum Richter. Mose handelt ni cht kaltblütig, nicht gewissen-los, sondern wie ein Richter, der ein Urteil spricht und es selbst auch ausführt. Seine Gefühle verbinden ihn auf`s Engste mit dem Leid Israels. Er verbündet sich mit dessen Schmach. Er wird zum Anwalt und Richter der Schwach en und beweist das Hirtenbewußtsein eines Abel. Zugleich aber überschreitet er eine Grenze und trägt den Kain mit in seiner Brust. Wie später noch einmal kann er nicht warten, bis Gott eingreift. Er verübt selbst das Gericht, allerdings im Glauben, das Ric htige zu tun.
Die Szene wiederholt sich. Zunehmend mehr schält sich des Mose Fähigkeit und Berufung heraus: sein Gerechtigkeitssinn. Er sieht zwei Israeliten miteinander streiten, vermutlich handfest. Er treibt diese beiden auseinander. An der Art, wie sie mit Mose rede n, wird deutlich, dass er unter den Sklaven schon recht bekannt gewesen sein müßte. Mose will den Streit schlichten. Doch nun erfährt ein anderes Element, das ihn in dieser Art stets begleitet hat: wer bist du, dass du dich zum Richter aufführst? Hier trit t ins Licht, dass Gott den Mose noch nicht berufen hat. Von seiner Selbstsicher-heit ist auch später nicht mehr viel übriggeblieben. Der Hebräer akzeptiert Mose als Retter nicht, so wenig, wie die Brüder den Josef akzeptierten, so wenig, wie die Juden spät er Jesus akezptierten. „Wenn du Gottes Sohn bist, dann...!“ „Wer bist du, dass...!“ Diese Redewendungen finden wir immer wieder. Mose wird mit ihnen zu kämpfen haben ein Leben lang.
Dann schießt der Hebräer einen äußerst „giftigen Pfeil“ an Mose ab. Die Mordtat wird nicht als Heldentat eines Prinzen für die Sklaven angesehen. Mose wird nicht als Robin Hood gefeiert, sondern es wird als das deklariert, was es ist: Mord. „Willst du mich auch ermorden?“ Spricht: du machst dich selbst zum Richter und Henker. Woher nimmst du dir dieses Recht? Mose weiß nun: er hat eigenmächtig gehandelt. Man kann viele christliche Dinge tun, wenn Gott etwas anderes mit mir vorhatte, ist es alles nichts wert . Der „Tod auf dem Nil“ kommt vor die Ohren Pharaos. Seine vielleicht als unberechtigt ihm nun vorkommenden Bedenken gegen Israel werden durch diese Tat neu geschürt. Mose hat seinem Volk nicht geholfen, im Gegenteil. Und er selbst muss fliehen.
Eigenartig die Parallelen zum Gottessohn Jesus Christus. Obwohl der Herr vollkommen war, hieß es auch bei ihm, dass er den Gehorsam lernen mußte. Wie Mose aus dem Wasser gezogen wurde, um am ägyptischen Hof für seine Aufgabe erzogen zu werden, so kehrt Jes us aus der Taufe am Jordan hervor. So wie Mose in die Wüste mußte, um dort der Prüfung gegen den Satan zu bestehen, so wurde Mose versucht. Mose versagte, aber er mußte noch tiefer in die Wüste und geriet in die Schule Gottes.
Mose in der Schule Gottes
Moses ist weit gewandert. Wie lange Zeit Jesus am Jakobsbrunnen, so läßt sich Mose in einer Oase in Midian nieder. Und wie Jesus um das Heil einer Frau ringt, so sorgt Mose für 7 Frauen, dass ihnen Recht geschehe. Diesmal übt er aber keine Gewalt im Sinne des Mordes. Aber sein Gerechtigkeits-empfinden läßt es nicht zu, dass Schwächere von Stärkeren benachteiligt werden.
Die Situationen ähneln sich. Doch verschieden ist die Ausgangsbasis. In Ägypten handelt Moses als Prinz, hier als von der ägyptischen Justiz gesuchter Mörder, bar aller Ehren. In Ägypten wirft er sich zum Richter auf über einen Mann und muss in Schande und Schmach sein Werk unterbrechen. Hier verteidigt er sieben Frauen gegen eine Überzahl fremdländischer Hirten. Dort tötet er um der Gerechtigkeit willen, hier weist er zurecht und schützt. Mose hat gelernt. So ist auch das Ergebnis anders: dort mußte er fli ehen, hier wird er eingeladen und beschenkt. Mose mußte lernen, dass Gottes Gerechtigkeit nicht den Tod des Sünders will, sondern seine Zurechtweisung und im besten Fall seine Rettung. Doch seine Schule ist noch lange nicht abgeschlossen. In den Jahren bei seiner Mutter Jochebed hat Mose sicher viel erfahren von dem hebräischen Glauben. Dann wurde er viele Jahre ausgebildet am Hof Pharaos und lernte Führungsqualitäten. Nun, in der Wüste, lernte er 40 Jahre lang als Hirte „Schafe“ zu führen und in der Stille der Wüste den Gott Israels kennenzulernen. Erst dann übergibt Gott einem demütigen Mann die Führungsrolle mit den bis heute so gewaltigen Ausmaßen.
Doch Mose konnte den Plan Gottes noch nicht erfassen. Seine Trauer, seine Heimatlosigkeit drückt er aus in der Namensgebung seines ersten Sohnes: Gershom, das ihm Zippora gebiert. Moses emp- findet sich als Fremdling. Er ist weder Ägypter noch ist er unter seinem Volk. Seine Frau ist eine Midianiterin. Mose dürfte über die Wege Gottes schirka verzweifelt gewesen sein. So Großes wollte er für Gott tun, doch gebracht hatte es nur Flucht, Verstoßensein und die bittere Heimatlosigkeit. Mose erfährt, was auch Je sus erfuhr und was jeder erfährt, der mit Gott ernst macht. Das Leben mit Gott kann viel abverlangen. Statt Glück und Reichtum kann es „Heimatlosigkeit und Trauer“ brin- gen. Und diese Trauer wird Mose immer wieder erfahren. Immer wieder wird er an seine G renzen stoßen. Immer wieder wird der Freude furchtbares Leid und Entsetzen folgen. Die Kraft, mit der Mose später die Arme erhebt, damit sein Volk siegen kann, werden zunehmend schwerer und müssen gestützt werden. Und Mose erfährt etwas von dem stillen Lei den, das Gott trägt um die Menschheit, die er so liebt. Und was Mose in der Wüste nicht hörte, hört der Allmächtige: das Schreien der Geknechteten, der Trauernden und Mißhandelten. Die Söhne Jakobs werden elend misshandelt. Und Gott, gleich einer Mutter, n immt sich des Volkes an und will sie „herausziehen“. Nun schlägt die Stunde des Retters. Wie heißt es in den Evangelien, als Jesus kam? Die Zeit war erfüllt.